Klima-Notstand: Wissenschaftskommunikation muss besser werden.

Der Sommer 1976 war ungewöhnlich heiß und lang. Zum Vergleich der heiße Sommer 2022, keine regionale Anomalie mehr, sondern global markante positive Abweichungen

Die Bilder der Folgen von Wetter- und Klimaextremen wie Dürreperioden, dramatische Gletscherschmelze und massiven Überflutungen gehen zwar um die Welt, trotzdem fehlt für viele Menschen der Kontext zur globalen Erwärmung um 1,5°C oder mehr. Defizite im mathematisch-physikalisch-statistischen Verständnis sind nicht neu, sehen wir derzeit in der Pandemie, dass absolute und relative Risiken, Inzidenzen und Mortalitätsraten nicht verstanden werden. Eine globale Erwärmung um 2 bis 3 Grad Celsius klingt in der Wahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung lächerlich wenig. Statt 18 eben 20 Grad. Statt 8 eben 10°C. Cool, muss ich weniger heizen, längere Badesaison im Sommer. Wetterberichte und vor allem Wetter-Apps liefern nur das „Endprodukt“ „Temperatur und Wetter am punktgenauen Ort. So wie man sich im Gasthaus ein Fleischgericht bestellt und in der Regel nicht nachfragt, wer es geliefert hat und wie hoch der CO2-Fußabdruck davon ist. Die Temperatur- und Niederschlagsprognose in der App ist nichts anderes als das fertige Schnitzerl am Teller. In der vereinfachten Vorstellung der Mehrheitsbevölkerung wären die 35°C Höchsttemperatur ohne Klimaerwärmungszuschlag eben 33°C gewesen.

Unterschiedliche Erwärmungsraten von Land- und Ozeanflächen

Tatsächlich erwärmen sich bei steigender Durchschnittstemperatur Landflächen und seichte Gewässer grundsätzlich viel schneller als Ozeane. Die Südhalbkugel hat weniger Landfläche und erwärmt sich ebenfalls schwächer als die Nordhalbkugel, wo es dieses Jahr in Nordamerika, Europa und Asien gleichermaßen verheerende Hitzewellen gegeben hat. Die hohen Breiten erwärmen sich viel schneller und stärker als die niedrigen oder gemäßigten Breiten. Zurückweichendes „ewiges Eis“ und Waldbrände auf riesigen Flächen beschleunigen die Erwärmung. Die Hitze ließ die Fließgewässer stark erwärmen, führte zum weitreichenden Fischsterben und kippte ganze Ökosysteme um. Die Dürre ließ die Flusspegelstände auf historische Tiefswerte sinken, bedrohte die Trinkwasserversorgung und verringerte die Stromproduktion durch Wasser- und Atomkraftwerke. Niederschläge fielen oft nur punktuell und in Schauerform, also kurz und heftig, sodass das Wasser großteils oberflächennah abfloss und den Grundwasserspiegel allenfalls kurzzeitig zu heben vermochte.

Doch auch die Betonung der Land-Ozean-Unterschiede erklärt nicht, weswegen wir drei bis sechs Monate ohne nennenswerten Niederschlag erlebt haben und durchgehende Sommerwärme oder längere kühlere Episoden im Sommerhalbjahr.

Änderung der Großwetterlagen: Rossbywellen

Rossbywellen sind großräumige Wellenbewegungen in der Atmosphäre, auch planetare Wellen genannt. Sie trennen großräumige Luftmassen voneinander – wie die polare Kaltluft im Norden von subtropischer Warmluft im Süden. Ihre Wellenlänge beträgt mehrere tausend Kilometer. Normalerweise gibt es drei bis fünf Rossbywellen auf der Nord- und Südhalbkugel. Je geringer die Rossbywellenzahl, desto stabiler das planetare Wellenmuster.

Rossbywellen-Zahl: 3 – über Asien, Europa und Nordamerika

Die Position der Rossbywellen bestimmt also großräumig das regionale Wetter. Die Nord-Süd-Auslenkung sorgt für weit nach Norden reichende Warmluftvorstöße oder weit nach Süden vorstoßende Kaltluft. Mehr zu den Hintergründen gibt es auf der Seite von Gerd Pfeffer.

Momentaufnahme vom 20. Juli 2022, skizziert nach 500 hPa Geopotential Analyse

In der Grafik ist die ungefähre Lage der Rossbywellen Mitte Juli 2022 aufgetragen, als sich wieder eine von mehreren Hitzewellen in Europa ereignete. Die Rossbywellenzahl ist klein – man erkennt allenfalls zwei ausgeprägte Wellen. Die globale Zirkulation war ausgesprochen stabil.

Je nach dem, auf welchem Breitengrad die Wellenlinie liegt, kommt die heiße Luft weiter nach Norden voran:

Diesen Sommer war die Wellenlinie weit nach Norden verschoben, der Subtropen-Hochdruckgürtel dehnte sich in den Mittelmeerraum aus. Dort dominierten monatelang trockene Luftmassen, nicht einmal lokale Gewitter entstanden zur Abkühlung.

Je nachdem, auf welchem Längengrad die Achse des Tieftroges oder Hochdruckkeils liegt, befindet sich die Region auf der warmen oder kalten Seite.

Der Hitzedom über Europa hielt sich von Juni bis August mit nur kurzen Unterbrechungen. Überdurchschnittlich viel Niederschlag fiel dagegen in Osteuropa, etwa in Griechenland oder in der Ukraine.

Wie die planetaren Wellen zum Liegen kommen, hat also maßgeblichen Einfluss auf unser Wetter für Wochen oder sogar Monate. Die Hitzewelle in den Vormonaten verursachte in der Folge die biblischen Regenfälle in Pakistan durch den stärker ausfallenden Monsun – hier mehrere Erklärungen, auch durch die landwirtschaftliche Nutzung verstärkt. Die Landmassen erwärmten sich stärker als normal, die Feuchtezufuhr durch auf den Kontinent gerichteten Seewinde fiel ebenso stärker aus.

Die Unwetter in Italien

Momentaufnahme am Freitag, 16. September 2022

Wenn man wissen will, warum es gerade jetzt so extreme Überflutungen in Italien und Kroatien gibt, dann hilft wieder ein Blick auf die globale Strömungszirkulation. Da hat sich nun über Nordeuropa ein mächtiger Trog aufgebaut, der Kaltluft weit nach Süden transportiert. In den Nordalpen fällt der erste nennenswerte Neuschnee seit Ende des Winters.

Wassertemperaturen am 17. September 00 UTC, Quelle: wetter3.de bzw. DWD

Das Mittelmeer hat sich aber durch die monatelange Hochdrucklage überdurchschnittlich erwärmt, im Durchschnitt 2-4°C wärmer als normal mit den höchsten Abweichungen im westlichen Mittelmeer, wo wiederholt nordafrikanische Heißluft bis Frankreich vorgestoßen ist.

Momentaufnahme 16. September 2022

Gleichzeitig stößt ein Trog mit viel Kaltluft in der Höhe weit nach Süden bis zum Mittelmeer vor. Auf seiner Vorderseite bildete sch über der Oberen Adria ein kräftiges Bodentief. Die Höhenkaltluft betrug etwa -12°C in 5,5 km Höhe (Wetterballonaufstieg von Pietro Capofiume um Mitternacht). Die vertikale Temperaturdifferenz bis zum Boden betrug im westlichen Mittelmeer damit knapp 40°C, im Tyrrhenischen Meer 37-38°C und in der Oberen Adria noch rund 36-37°C. Das macht die Atmosphäre enorm instabil. Wärmere Luft kann aber auch mehr Feuchte aufnehmen, so war die Atmosphäre bodennah feuchter und zugleich viel instabiler. Dazu nun ein Tiefausläufer, vereinfacht ausgedrückt, und fertig sind alle Zutaten für intensive Gewitter mit Starkregen, die sich am Apennin bzw. Dinariden abregnen können. Innerhalb von zwei Stunden fielen 400mm Niederschlag, so viel wie normalerweise in einem halben Jahr.

Von Meteorologen war schon vor Monaten vorhergesagt worden, dass es heftige Starkregengewitter mit schweren Überflutungen und Erdrutschen am Mittelmeer geben würde. Es war keine Frage des „Ob“ mehr, sondern nurmehr des „wann“ – wann ein Kaltluftvorstoß unter gleichzeitigem Tiefdruckeinfluss soweit nach Süden folgen würde, dass die enorme Instabilität in Gewittern umgesetzt werden konnte.

Lake-Effect am Bodensee: Kalte Luft strömt über dem warmen Bodensee und nimmt viel Feuchte auf, die sich am Bregenzerwald abregnet.

Auch am überdurchschnittlich warmen Bodensee macht sich dieser Effekt bemerkbar. In Bregenz fielen seit Mitternacht über 80mm Niederschlag – die drittgrößte September-Tagesniederschlagssumme seit Messbeginn 1936 . Am Vortag hatte der Bodensee noch 19,7°C, heute nurmehr 18,7°C. Die mitternächtliche Sonde von München zeigte -22°C in 5,5km Höhe. Die vertikale Temperaturdifferenz beträgt damit 41-42°C! Dazu die ideale Windrichtung mit Nordwest, die über die gesamte Länge des Sees streicht und dadurch noch mehr Feuchte aufnehmen kann. Mit der Höhenkaltluft entstehen kräftige Regenschauer, die sich dann am Bregenzerwald über Stunden hinweg abregnen.

In Summe muss man sich also vom großen zum kleinen Wettersystem vorarbeiten:

Die Lage der planetare Welle hat diesen Sommer bestimmt, dass wir für Wochen oder Monate unter Zufuhr heißer und trockener Luftmassen lagen. In diesem Zeitraum heizte sich das Mittelmeer stärker auf als normal, weil die Umwälzung des oberflächennahen Wasserbereichs durch Stürme und Niederschlags fehlte. Der niederschlagsarme Winter sorgte für weniger Schmelzwassereintrag in die Alpenflüsse und bescherte dem Bodensee einen niedrigen Wasserstand, was dessen Erwärmung ebenfalls befeuerte. Mit den Kaltluftvorstößen nach Süden fallen die Temperaturunterschiede zwischen Boden bzw. Wasseroberfläche und Höhe entsprechend intensiv aus. Wärmeres Wasser bedingt damit sowohl höhere Instabilität als Feuchtezufuhr. Kommt dazu ein Tiefdruckgebiet, sind alle Zutaten für heftige Schauer und Gewitter gegeben.

Anschaulicher erklären

Das ist jetzt nur ein Beispiel für „Wetterextreme erklären“. Ich bin leider ein lausiger Zeichner und auf fähigere Menschen angewiesen, die das, was sie sich vorstellen, auch grafisch umsetzen können (vielleicht fotografiere ich deswegen lieber als selbst zu zeichnen). Positivbeispiele habe ich in meinem Blog nur wenige genannt.

Gut gefällt mir z.B. die BBC, die auch erklärt, was ein Sting Jet ist, und weshalb er so gefährlich bei bestimmten Sturmtiefs ist. US-Medien berichten dafür ausführlich über den Polar Vortex und weshalb er für markante Kaltluftvorstöße bis nach Texas und Florida sorgen kann.

In dieser Art würde ich mir anschaulichere Erklärungen wünschen, was die bereits beobachteten Zirkulationsänderungen (längeres Verweilen von Hoch- und Tiefdruckgebieten) für mittelfristige Auswirkugen auf unser Wetter haben. Dass ein Hitzesommer im Herbst Unwetter zur Folge haben kann. Dass langfristig die Zahl der Sturmtiefs in Europa abnimmt, aber auftretende Sturmtiefs häufiger als sogenannte Shapiro-Keyser-Zyklone in Erscheinung treten, die eher mit Sting Jets einhergehen. Dass die Anzahl der Regentage möglicherweise abnimmt, aber die Regentage mehr Niederschlag in kurzer Zeit bringen können, weil sich die Niederschlagsform von sanftem Dauerregen zu schauerförmigen Starkregen verschiebt. Das wird die Landschaft nachhaltig verändern müssen. Wasser speichern wird immer wichtiger. Flächen versiegeln wirkt sich immer verheerender auf die Umwelt aus.

Wir brauchen weniger abstrakte Zahlen, die die meisten Menschen nur ganz schlecht in „was bedeutet das für mich?“ umsetzen können, sondern mehr grafische Erklärungen auch von den Zusammenhängen und Hintergründen. Das setzt aber auch innerhalb der Redaktionen ein Umdenken zu den Prioritäten voraus. Schon bei der Pandemie beging man den fatalen Fehler, sie als Ereignis unter vielen anderen Ereignissen zu betrachten und „nebenher mitschwimmen zu lassen“. Statt Sondersendungen wurden sie in bestehende Sendungen eingebaut, häufig – zumindest in Österreich – ohne extra Sendezeit oder Platz in den Zeitungen. Der Erkenntnisgewinn auf fachlicher Basis hielt sich meist in Grenzen – Stichwort PLURV und False Balance. Wenn wir das Ruder bei der Klimaerwärmung nur ansatzweise herumreißen wollen, muss es mehr Raum in der Berichterstattung einnehmen. Das reicht von kurzfristigen Warnungen vor Unwettern wie der Orkanfront am 18.08.2022 bis zu den Folgen von Trockenheit, Hitze und Schneearmut im Winter.

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Ein Gedanke zu „Klima-Notstand: Wissenschaftskommunikation muss besser werden.

  1. Claudia Hinz

    Vielen Dank für diesen höchst interessanten Artikeln. Das mit den Rossbywellen hatte ich schonmal gelesen, auch dass die Anzahl etwa alle 100 Jahre zunimmt. Aber leider findet man sehr wenig darüber.

    Antwort

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