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Sind die Vorhersagen genauer geworden?

Es gibt darauf keine klare Antwort und hängt davon ab, welche räumliche und zeitliche Größenordnung und welches Wetterphänomen man betrachtet.

Die Prognose der Großwetterlagen lässt sich anhand der 500 hPa-Druckfläche relativ leicht überprüfen:

Entwicklung der 500 hPa-Prognose anhand des EZMWFs für verschiedene Prognose-Zeiträume

Entwicklung der 500 hPa-Prognose anhand des EZMWFs für verschiedene Prognose-Zeiträume

Quelle: http://earthzine.org/2014/01/06/the-group-on-earth-observations-looks-toward-a-second-decade-of-data-sharing/

Die Graphik zeigt auf der X-Achse die Jahre 1980 bis 2010 und auf der Y-Achse die Treffergenauigkeit in Prozent, jeweils für 10-Tages-Prognosen (gelb), 7-Tages-Prognosen (grün), 5-Tages-Prognosen (rot) und 3-Tages-Prognosen (blau). Der obere Graph bildet die Nordhemisphäre, der untere die Südhemisphäre ab.

Allgemein bestätigt der Graphikverlauf die subjektive Empfindung vieler Leser, Hörer und Seher von Wetterberichten: Die Prognosequalität hat sich von den 80ern ausgehend deutlich verbessert, wie etwa die 3-Tages-Prognose von 84 auf 98 % oder die 7-Tages-Prognose von 45 auf 75 %.

Seit der Jahrtausendwende wurde auch die beträchtliche Lücke zwischen Nord- und Südhemisphäre dank fortgeschrittener Satellitenentwicklung geschlossen. Denn das große Manko der Südhalbkugel war bis dahin, dass aufgrund der ausgedehnten Meeresoberfläche weniger Stationsdaten vorhanden sind. Die erdumspannende Satellitenbeobachtung gleicht die mangelnde Stationsdichte aus.

Jetzt handelt es sich bei der Prognose der 500 hPa-Druckfläche (d.h. die Höhe, in der ein Luftdruck von 500 hPa herrscht, bei Tiefdruck weniger als 5500 m, bei Hochdruck mehr) nur um einen Vorhersageparameter, der für die Meteorologen zwar essentiell ist, aber in herkömmlichen Wetterberichten nie vorkommt.

Den Normalverbraucher interessiert, was am Boden passiert, und da vor allem Höchsttemperatur, Sonnenschein/Bewölkung und Niederschlag.

Und da zeigen sich doch regionale Unterschiede in der Vorhersagequalität der letzten Jahre. Das liegt an einer synoptischen Faustregel:

Der größere Wirbel steuert immer den kleineren.

Ein Extrembeispiel zur besseren Veranschaulichung ist Orkan LOTHAR am 26. Dezember 1999:

Bodendruck und Luftmasse (ThetaeE), Quelle: www.wetter3.de

Bodendruck und Luftmasse (ThetaeE), Quelle: http://www.wetter3.de

Das Orkantief LOTHAR befand sich am zweiten Weihnachtsfeiertag über Deutschland, das steuernde Tiefdrucksystem, bestehend aus mehreren Tiefdruckkernen, über der Nordsee. Das ZENTRALTIEF steuert die RANDTIEFS, ebenso wie kleinere Tiefdruckgebiete an Hochdruckgebieten entlang ziehen. So eine Großwetterlage ist RELATIV gut vorhersagbar (LOTHAR damals nicht, aber das lag nicht nur an den Modellen).

Schauen wir uns dagegen die Hochwasserlage vom Mai/Juni 2013 an, das in Teilen Süddeutschlands ein Jahrtausendhochwasser zur Folge hatte.

Bodendruck und 500 hPa-Druckfläche (Linien), Quelle: wetter3.de

Bodendruck und 500 hPa-Druckfläche (Linien), Quelle: wetter3.de

Das steuernde Höhentief ist recht ausgedehnt und war in seiner Position vergleichsweise gut vorhergesagt. Es handelt sich hier um dieselbe dargestellte Druckfläche wie in der Verifikation der Vorhersagegüte auf der ersten Karte. Problematisch ist aber nicht das Zentrum des Höhentiefs, sondern seine Trabanten am Boden: mehrere Tiefdruckkerne kreisen um das Höhentief gegen den Uhrzeigersinn, und steuerten damals triefend feuchte und milde Luftmassen vom Mitttelmeer und Schwarzen Meer über das Festland nach Süddeutschland und die Nordalpen.

Hier ergeben sich die Unsicherheiten, wie lange es regnet, welche Region genau betroffen sein wird, und wie hoch die Mengen ausfallen.

In den vergangenen Jahren häufen sich diese Höhentief-Wetterlagen.  Zum Vergleich, am 23. Juni 2004 sorgte ein frühsommerliches Sturmtief für zahlreiche Schwergewitter über Nord- und Ostdeutschland, darunter einen starken Tornado (F3-T7) in Micheln, Sachsen-Anhalt. Die Großwetterlage zeigt eine straffe Südwestströmung am Boden und in der Höhe, die Wetterlage selbst ist relativ gut vorhersagbar gewesen.

Bodendruck und 500 hPa, Quelle: wetter3.de

Bodendruck und 500 hPa, Quelle: wetter3.de

Symptomatisch für den feuchtkühlen Sommer 2014 war hingegen diese Großwetterlage:

Bodendruck und 500 hPa, Quelle: wetter3.de

Bodendruck und 500 hPa, Quelle: wetter3.de

Ein ausgedehntes Höhentief mit Kern über den Alpen, Tiefdruckgebiete am Boden über dem Golf von Genua, über dem Dreiländereck Serbien-Ungarn und Rumänien sowie über Ostdeutschland. Die Vorhersage war für 3 Tage im Voraus oft schon recht unsicher, manchmal sogar der Folgetag.

Viele Köche verderben den Brei – je mehr Tiefdruckgebiete gegenseitig wechselwirken, desto größer die Herausforderung für die Wettermodelle, diese Wechselwirkungen zu erfassen.  Bei großen Trögen und kleinen Bodentiefs ist die Wechselwirkung leichter prognostizierbar, die Zahnräder greifen ineinander. Hat man gleich große Tröge oder mehrere Bodentiefs auf engstem Raum, welcher Wirbel steuert dann den anderen? Das ist ungleich schwieriger.

Wir erinnern uns an den Winter 2012/13, als vor allem der Alpenostrand mit Schnee regelrecht zugeschüttet wurde, im Winter 2013/14 war die Alpensüdseite dran und im Winter 2014/15 zogen die Adriatiefs häufig zu weit östlich. Nordwestlagen treten jetzt häufiger im Spätwinter bzw. zu Frühlingsbeginn auf. Im Sommer wiederholt sich seit 2-3 Jahren die Großwetterlage. Statt straffer Südwestströmung herrscht oft ein Höhentief quer über Mitteleuropa mit herumeiernden Bodentiefs, von Meteorologen auch Barosumpf genannt.

Solche Wetterlagen über Monate hinweg, mit nur wenigen Hochdruckphasen dazwischen, zermürben die Wetterfrösche. Denn die 1-3-Tages-Prognosen sind deutlich anspruchsvoller und zugleich unberechenbarer geworden. Gewitter, die nicht mit der Höhenströmung ziehen, sondern scheinbar zufällig irgendwo im Gelände entstehen und eigenwillig ziehen, sind nahezu unvorhersagbar, und können durch anhaltenden Sturzregen dramatische Auswirkungen haben. Schnellziehende Schwergewitter sind von der Wahrscheinlichkeit her besser vorhersagbar. Gewitterlinien sind auch räumlich besser vorhersagbar. Bei schwachgradientigen Tiefdrucklagen hat man aber weder Linien noch brav unisono ziehende Gewitter, sondern mehrere Richtungsänderungen auf engstem Raum.

Im Winter sind zwar die beteiligten Wettersystem großflächiger, wie etwa ein großräumiger Warmfront- oder Okklusionsschneefall, aber bei Höhentieflagen zieht das Adriatief dann eben nicht über Kärnten und die Steiermark hinweg, wie noch 2013/2014, sondern über Slowenien, Kroatien und Ungarn nordostwärts, und der Alpenraum schaut in die Röhre. So hat man diesen Winter schon ein paar Mal selbst kurzfristig ins Klo gegriffen, weil wieder alles nach Osten verschoben oder gänzlich abgesagt wurde.

Um es zusammenfassen:

Großräumige Wettersysteme sind deutlich besser vorhersagbar als noch vor 30 Jahren. Gewitter- und Höhentieflagen bleiben trotz Supercomputer und hochaufgelöster Wettermodelle die Achillessehne in der Wettervorhersage.  Auch Kollegen anderer Wetterdienste kamen zu dem gleichen Schluss wie ich, dass sich in den vergangenen Jahren die Wetterprognose im Kurzfristbereich verschlechtert hat.

Eine Hypothese der Auswirkung des Klimawandels auf Großwetterlagen ist übrigens, dass die Höhenströmung tendenziell weiter abnimmt, weil sich durch die Erwärmung der Polgebiete die Luftdruckgegensätze zwischen Pol und Äquator abschwächen. Das würde in Zukunft anhaltende Trocken- bzw. Regenphasen bedeuten, aber auch eher langsam ziehende, schwerer prognostizierbare Fronten und Gewittersysteme.

Die vergangenen Jahre legen beredtes Zeugnis dieser Hypothese ab. Handelt es sich hier nur um eine Episode (Wetter ist NICHT Klima!), oder um einen ersten Trend?