Archiv für den Monat Mai 2015

Die Mär vom unerwarteten Wettersturz

Es gibt charakteristische Wolkenanzeichen für aufziehende Gewitter, die auch ein Laie bemerken kann, wenn er aufmerksam den Himmel beobachtet und die Windströmungen erkennt.

1. Die Überraschung: 16. August 2010, Haller Mauern

Zuerst ging es in die Hohen Tauern, später für zwei Tage in die Haller Mauern, um den Hexenturm (2172m) zu besteigen. Schon die Tage davor war das Wetter unbeständig, Schauer und Gewitter hielten von größeren Touren ab. Ich konnte nicht mehr in die Wetterkarten schauen, hatte aber für die Folgetage eine Südföhnlage im Kopf.

Tatsächlich baute sich am 16. August eine Gewitterlage mit durchziehender Kaltfront auf.

(Bildbeschreibung jeweils von links oben (LO) nach rechts unten (RU))

hallermauern

LO: Altocumulus stratiformis um die Mittagszeit, die ersten Vorboten für Hebung im mittleren Niveau. Diese Wolkenart entsteht nie durch Sonneneinstrahlung, sondern ausschließlich durch großräumige Tiefdruckprozesse. Sie zeigt an, dass genügend Feuchte in der Schicht vorhanden ist, wo Gewitterwolken die stärksten Aufwinde erreichen.

RO: Aufziehende Nebelwolken westlich des Standpunkts, wahrscheinlich durch abgekühlte Niederschlagsluft verursacht. Die Frontgrenze befand sich zu diesem Zeitpunkt wenige Kilometer nördlich von uns.

LU: Rückkehr zum Admonter Haus, wir brechen vorzeitig ab, weil Nebel aufzieht. Davor wehte böiger Südwind, der den Nebel immer nordseitig des Sattels in Schach hielt. Plötzlich starker Nordwind, der den Nebel auf die Südseite treibt. Das Gleichgewicht wurde gestört.

RU: Nach dem Gewitter. 1-2 cm Hagel, stürmische Böen, starker Regen. Das war nicht das Schlimmste, sondern die nahen Blitzeinschläge. Wir stehen auf, blauer Himmel zu sehen. Plötzlich ein Naheinschlag, vielleicht 100 m entfernt. Ein positiver Blitz aus der Rückseite des Amboss.

2. Die Erkenntnis: 18. August 2011, Schneeberg

Ein Jahr später. Nach 2004 (ebenfalls Gewitter in der Nähe) meine zweite Schneeberg-Besteigung. Ein zufällig getroffener Mitwanderer sagt in der Früh „blauer Himmel, da passiert heute nichts.“

Tatsächlich hatten die Wettermodelle die Lage nicht vorhergesehen. Zwar wurde ein kleiner Trog gerechnet, aber kein Niederschlag. Bodennah zeigten hochaufgelöste Modelle ein konvergentes Windfeld. Nordwinde in den niederösterreichischen Voralpen, der typische heiße Südostwind am Alpenostrand. Im Rax-Schneeberg-Gebiet strömte die Luft zusammen, wird gezwungen aufzusteigen und Quellwolken zu bilden.

Die Atmosphärenschichtung ist, wie sich später zeigen wird, zwar im Flachland stabil geschichtet, im Gebirge mit höherem Feuchteangebot genügt jedoch ein winziger Schubser, um ein Luftpaket ungehindert aufsteigen zu lassen.

schneeberg

LO: Beim Aufstieg ab Losenheim herrscht blauer Himmel, aber bereits gegen halb zehn werden weit über 20 Grad gemessen. Die Luft ist drückend schwül.

RO: Ausgedehnte Altocumulusbänke schieben sich über den Himmel. Anzeichen für Hebungsantrieb, der so intensiv nicht prognostiziert wurde. Erste kleine Quellwolken entstehen. Später sieht man auch Föhnwolken, sie zeigen die Richtung an, in die sich die Gewitterwolken später verlagern werden.

LU: Cumulus congestus gegenüber bzw. knapp hinter der Raxalpe. Es ist Mittag. Ich raste am Gipfel viel zu lange, bemerke das Unheil erst, als es zu donnern beginnt. Da bin ich schon am Abstieg vom Gipfel. Ich suche im Zahnradbahntunnel Schutz. Spätere Nachforschungen werden ergeben, dass die Erdblitze links und rechts des Abstiegswegs einschlugen.

RU: Links ein zweites Gewitter, das mich aber nicht mehr erreicht hat, rechts das erste Gewitter.

3. Das Risiko: 20. September 2014, Wechsel

Dieses Mal wurden die Gewitter vorhergesagt. Wir wählen daher eine kurze Aufstiegsroute mit vorzeitigen Abbruchmöglichkeiten. Und ich kann lehrbuchhafte Anzeichen hautnah miterleben.

wechsel

LO: Über dem Steirischen Hügelland entstehen winzige, vertikale Türmchen aus den Quellwolken. Sie zeigen an, dass bodennah genügend Feuchte vorhanden ist. Auch in der Höhe ziehen mittelhohe Wolken durch.

RO: Föhnwolken, Quellwolken und hohe Wolken: In allen Höhenschichten ist genug Feuchte vorhanden.

LU: Mächtige Quellwolken über der östlichen Wechselregion bis Günser Gebirge.

RU: Während wir am Niederwechsel vorbeigehen, entsteht 2 km nördlich von uns eine Gewitterwolke. Sie kreiselt immer schneller über dem Talboden, die Kontraste verschärfen sich. Die Aufwindwolke ist weiß, nach unten ausgefranst. Wenig später donnert es, wir flüchten zum Auto hinunter. Die meisten Blitze schlagen dort ein, wo die Gewitterwolke steht, aber zwei Blitze auch auf unserer Seite (auf der anderen Seite des Kamms).

Zusammenfassung: 

Ob vorhergesagt oder nicht, in allen Fällen ist in den Morgenstunden oder im Laufe des Vormittags Altocumulus zu sehen, mittelhohe Wolken als floccus, stratiformis oder castellanus ausgeprägt (Aussehen: siehe Karlsruher Wolkenatlas). Sie entstehen typischerweise wenige Stunden (2-7 Std.) vor der Gewitterbildung. Zinnenförmig nach oben wachsend ist dabei ebenso warnend wie ausgedehnte flache Bänke.

Hat man Quellwolken und Altocumulus in Kombination, ist Feuchte bodennah und in mittleren Höhen vorhanden, ebenso Labilität und Hebung. Föhnfische (Altocumulus lenticularis) bedeuten in dem Fall keine Abschwächung des Gewitterrisikos, sondern aufsteigende Luftströmungen im Luv des Gebirges und verstärkte Hebung.

Wird man trotzdem vom Gewitter überrascht, hat man die Anzeichen dafür übersehen.