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Hurrikan-Entstehung und Gefahr für Europa?

Zu diesem Zeit-Interview mit dem Klimaforscher Levermann (abgerufen: 10.10.16) über Hurrikan Matthew möchte ich gerne ein paar Ergänzungen hinzufügen:

  1. Hurrikan-Entstehung

Ein Hurrikan ist im Grunde genommen nichts anderes als ein riesiges, rotierendes Gewittersystem.

Levermann: Erste Voraussetzung ist ein warmer Ozean ab 26 Grad Celsius Wassertemperatur.

 26 Grad sind keine fixe Untergrenze, entscheidend ist nämlich der vertikale Temperaturunterschied. Die absolute Temperatur hat lediglich Auswirkungen auf die Intensität des Sturms.

Dazu kommen dann Scherwinde; hier bewegen sich die untere Lage in die eine, die obere in die andere Richtung.

Ist für mich unklar, ab wann die Scherwinde hier eine Rolle spielen. Wenn es um das Anfangsstadium geht, existieren zwar schwache Passatwinde, die zur Verdunstung des Ozeanwassers führen, jedoch sollte die Windscherung hier möglichst gering sein, weil sonst die Gewitterwolken zu stark „ventiliert“ werden (zu starke Durchmischung und Abtrocknung). Im späteren Stadium (am Weg zum Hurrikan) strömt die Luft bodennah Richtung Zentrum des Sturms, wird gehoben und am Oberrand des Sturms seitlich wieder hinausbefördert. Dann bewegen sie sich „in der unteren Lage“ hinein, und „in der oberen Lage“ hinaus (auch „In-Up-and-Out-Prinzip“ genannt).

Diese Winde nehmen die Energie des Wassers auf, es bildet sich Wasserdampf, der herumgewirbelt wird und sich – je nach zur Verfügung stehender Energie – verdichtet und zum Wirbelsturm heranwächst.

Im Klartext gesprochen: Wasser verdunstet, es bilden sich Wolken, bei ausreichend Energie hochreichende Gewitterwolken, die sich zum Gewittersystem ausdehnen. Bevor daraus allerdings ein Wirbelsturm wird, fehlt noch eine entscheidende Zutat: die Corioliskraft versetzt das System in Drehung. Mit zunehmender Lebensdauer dominiert die Zentrifugalkraft (gilt für das Auge und die Augenwand).

Die Hälfte der atlantischen Hurrikane entsteht durch große Gewittersysteme, die von Westafrika mit dem Passatwinde aufs offene Meer hinausziehen, die andere Hälfte entsteht in der Karibik. Nach einer gewissen Zeit beginnt die Corioliskraft zu wirken und versetzt das System in Drehung, ein tropischer Sturm entsteht.

ZEIT ONLINE: Werden sie sich auch ausbreiten? Sprich: Gibt es künftig Hurrikane in Europa?

Levermann: Wenn es auf dem hufeisenförmigen Pfad im Nordatlantik nicht mehr kälter wird, die Stürme sich also nicht abschwächen, dann ist eine Hurrikan-Saison in Europa irgendwann in Zukunft rein theoretisch möglich. Sie verlieren dann ihren Charakter als „tropische Stürme“, weil sie dann weit entfernt vom Äquator sind und sich die Physik dort ändert. Aber dass solche Stürme häufiger als jetzt nach Europa kommen, ist wahrscheinlich.

 Was man vielleicht dazu sagen sollte:

Die Wassertemperatur alleine entscheidet nicht, ob Hurrikane zum Major oder gar Cat-5-Hurrikan werden, sondern auch, wie kräftig die Windscherung in der Höhe ist. Das hufeisenförmige Abdrehen von Tropenstürmen auf dem Nordwestatlantik nach Nordosten wird auch als recurvature bezeichnet. Es wird durch die Höhenströmung begünstigt.

Typischerweise nimmt die Höhenströmung auf dem Nordatlantik im Bereich der Jetstreams jedoch stark zu und verhindert damit, dass ein Hurrikan unter Beibehaltung seiner tropischen Eigenschaften auf Europa trifft („Physikänderung“).

Es gibt jedoch drei Ausnahmen von dieser Regel:

  1. Außertropische Umwandlung eines Tropensturms in ein Sturmtief:

Meist drehen die Hurrikane in der Region von Florida nach Nordosten ab und gliedern sich zwischen Neufundland und Azoren, seltener auch im Bereich der Kanarischen Inseln, wieder in die Frontalzone ein. Es bilden sich nachfolgend Frontensysteme aus, der Tropensturm wird damit zum gewöhnlichen Sturmtief der gemäßigten Breiten. Die tropischen Eigenschaften bleiben dennoch vorhanden, weil sehr viel latente Wärme freigesetzt werden kann und Schauer/Gewitterwolken entstehen.

Diese Umwandlungen kommen immer wieder vor, sofern die Hurrikansaison nicht so schwach ist wie in den vergangenen Jahren.

2. Umwandlungen von außertropischen Tiefdruckgebieten in tropische Stürme

Das geschieht meist im Oktober oder November, wenn vom Nordatlantik bis zu den Azoren und den Kanarischen Inseln die ersten Kaltluftvorstöße stattfinden. Die Tröge schnüren sich dann in weiterer Folge ab und bilden ein abgeschlossenes Höhentief. Der vertikale Temperaturunterschied zwischen der Höhenkaltluft und dem vergleichsweise warmen Atlantik kompensiert dann die geringeren Wassertemperaturen selbst (meist deutlich unter 26°C). Die Stürme sind zudem weniger anfällig für eine lebhafte Höhenströmung, weil sie durch die geringere Energie nicht so weit in die Höhe wachsen.

Beispiele: Delta, Epsilon, Vince, Zeta (alle 2005)

Hurrikan VINCE erreichte die Iberische Halbinsel am 11. Oktober 2005, der erste Hurrikan seit 1842, der die spanische Küste erreichte.

Ein weiteres Beispiel ist Tropensturm GRACE, der vom 4.-6. Oktober 2009 existierte. Er besaß rund 26 Stunden lang ein Auge. So weit nordöstlich wurde bis dahin noch nie Tropensturmbildung beobachtet. Am 6. Oktober zog GRACE unter Auflösung knapp südlich an Irland vorbei.

3. Tropische bzw. Subtropische Stürme im Mittelmeer

Diese auch als Medicanes bekannten Stürme bilden sich wie bei 2. meist durch eingeschlossene Kaltluft in höheren Luftschichten. Sie sind aufgrund des begrenzten Warmwasserreservoirs des Mittelmeers meist viel kleiner als atlantische Tropenstürme und erreichen selten Kategorie 1.

Beispiele: 16. Januar 1995, 27. Oktober 2005, 26. Januar 1982, 26. September 2006, ROLF am 8. November 2011 (auf Wikipedia gibt es dazu Satellitenbilder) sowie zahlreiche weitere Beispiele.

In Summe ist es also bereits jetzt der Fall, dass Tropenstürme direkt oder indirekt Europa betreffen. Um allerdings den weiten Weg von der Karibik bis zum Ostatlantik zu bewältigen, benötigen sie eben nicht nur ausreichend Energie, sondern auch die passende Höhenströmung, die aber nicht zu stark sein darf, weil der Wirbel sonst instabil wird bzw. in ein außertropisches Sturmtief umgewandelt wird.