Archiv für den Monat März 2016

Windkanal zwischen Leopoldsberg und Bisamberg?

In der Falter-Ausgabe 10/16, Rubrik 7 Sachen, erläutern die Autoren die Windverhältnisse in Wien.

Auf die Frage, warum in Wien so oft der Wind geht, antworten sie:

„Das hat insbesondere mit dem Bisamberg und dem Leopoldsberg zu tun. Die schleusen die Luft wie ein natürlicher Windkanal durch die Stadt.“

Schauen wir uns doch einmal die topographische Lage von Wien an:

lage-stationen

Abbildung 1: Lage der Berge und Stationen, Quelle: maps-for-free.com

Beschriftung: 1 = Leopoldsberg, 2 = Bisamberg, 3 = Wetterstation Innere Stadt, 4 = Hohe Warte, 5 = Mariabrunn, 6 = Unterlaa

Zuerst sollten die Größenverhältnisse auffallen, der Wienerwald, der einen breiten Gürtel um den Westen Wiens herum bildet, der winzige Bisamberg, der durch die Donau abgeschnitten wurde. Die Unterbrechung zwischen Leopoldsberg und Bisamberg wird Wiener Pforte genannt.

windrichtung

Abbildung 2: Mittlere Windrichtung an den Stationen Mariabrunn, Hohe Warte, Innere Stadt und Unterlaa, Quelle: ZAMG Klimadaten

Aufgetragen habe ich hier die Windrosen (Durchschnittswerte der Windrichtung von 1971-2000) für die obigen Wetterstationen. Für die Hohe Warte dominiert der Westwind noch vor dem Nordwestwind, ebenso für Mariabrunn. In der Inneren Stadt sind West und Nordwest zu gleichen Teilen vorhanden, nur im äußersten Süden von Wien regiert im Schnitt reiner Nordwestwind.

Wenn es tatsächlich zu einem Düseneffekt durch die Wiener Pforte kommen würde, sollten speziell Hohe Warte und Innere Stadt doch deutlich mehr Nordwest bzw. Nordkomponente enthalten?

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Abbildung 3: Schematische Darstellung eines Windkanals („gap flow“) – Quelle

Für den Fall einer Nordwestanströmung würde sich das etwa so auswirken:

gap flow

Abbildung 4: Strömungspfeile und Abgrenzung des vom Düseneffekt beeinflussten Gebiets

Bei Nordwestwind würde der Hauptteil der Strömung der Donau entlang ziehen und vor allem den 21. und 22. Bezirk beeinflussen. Ein kleiner Teil würde nach Süden bzw. Südwesten abgelenkt werden, dann jedoch als Nordwind. Weite Teile der Innenbereiche sowie nahezu der gesamte Westen und Südwesten von Wien blieben unbeeinflusst.

Speziell die mittlere Windrichtung der Hohen Warte spiegelt diesen Effekt jedoch nicht wider, d.h., hier kommt ein anderer Effekt zum Tragen, der sich auch im Westen und Südwesten auswirkt: Gebirgsüberströmung!

Die wesentlichen Faktoren für Westföhn habe ich bereits in einem früheren Beitrag vom 17.3.2014 erläutert. Bei Nordwestanströmung ist folglich nur ein kleiner Teil des Düseneffekts in Wien einflussreich, das betrifft vor allem Floridsdorf und die Donauplatte, wo die auch im FALTER angesprochenen Fallwinde von den Hochhäusern zusätzlich den Wind beschleunigen. Der Löwenanteil Wiens wird jedoch von der Überströmung des Wienerwalds beeinflusst, speziell in Mariabrunn und den angrenzenden östlichen Bezirksteilen wirkt sich hier hier ein Düseneffekt durchs Wiental aus, wodurch der Wind mehrheitlich aus West kommt.

Sonst findet die Überströmung sowohl bei Nordwest als auch bei West statt, wobei bei Westanströmung die Wiener Pforte kaum noch eine Rolle spielt. Westföhn sorgt außerdem für stärkere Windspitzen als Nordwestföhn, was vor allem an der Stabilität der beteiligten Wetterlagen liegt. Bei ausgeprägtem Westföhn handelt es sich vor allem um Warmfront bzw. Warmsektorlagen (stabil geschichtete Atmosphäre), während Nordwestwind mit Rückenseitenwetter (hinter der Kaltfront) einhergeht (labil geschichtete Atmosphäre). Je stabiler die Schichtung, desto stärker der Föhn.

Die südlichsten und südöstlichsten Teile von Wien liegen schon vergleichsweise weit vom Wienerwald bzw. der Wiener Pforte entfernt, hier überwiegt meist der synoptische Wind (d.h. die vorherrschende Hintergrundströmung Nordwest). Die freien, flachen Kuppen von Laaerberg und Wienerberg sorgen hier für erhöhte Windgeschwindigkeiten.

Eine Windrichtung haben wir jetzt unterschlagen: Südost!

Speziell im Sommerhalbjahr, aber auch im Herbst, wenn Hochnebellagen häufiger werden, werden lange Südostwindphasen höchstens kurzzeitig von West- bzw. Nordwestwind unterbrochen (Frontdurchgang, Gewitterlinien). In den östlichen und südlichen Bezirken findet der Südostwind kein Hindernis, hier weht er meist besonders lebhaft. In Wienerwaldnähe wird der Südostwind hingegen durch den Anstieg der Topographie abgebremst. Speziell in der Nacht kann bei schwachen Druckverhältnissen auch eine flache Talwindzirkulation in Gang kommen, d.h., der Wienerwald kühlt sich stärker ab als die verbauten Stadtgebiete und bildet ein kleinräumiges Hochdruckgebiet aus, dann weht schwacher Westwind, wie etwa im Wiental.

Fazit:

Vom Windkanal der Wiener Pforte wird nur ein kleiner Teil der Bewohner Wiens etwas mitbekommen, vor allem der 19. Bezirk, der 20. sowie der westliche 21. Bezirk liegen im direkten Einflussbereich. Aber: Auch hier nur bei deutlicher Nordwest bis Nordnordwestanströmung, die im Klimamittel jedoch seltener auftritt als West bis Westnordwest. Im Sommerhalbjahr überwiegen überhaupt die Südostwinde, die bei Föhntendenz im Alpenraum lebhaft bis stark werden können (der Gewitterkiller).

Ein Sonderfall stellen Donauplatte und Wienerberg dar, wo die Hochhäuseransammlungen für zusätzliche Fallwinde sorgen. Die Donauplatte bekommt noch etwas Düseneffekt mit, während der Wienerberg als flache Kuppe Überströmungseffekte zeigt.

Eine letzte Abbildung noch zur großräumigen Anströmung und den Einfluss der Topographie in ganz Niederösterreich.

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Abbildung 5: Schematische Darstellung bei Westanströmung (a) und Nordwestanströmung (b)

Bei reiner, oft strammer Westanströmung  (a) findet bereits ein Düseneffekt entlang des Alpennordrandes statt. Dieser wird durch das verjüngende Donautal zwischen Böhmischer Masse (Waldviertel) und Voralpen (Mostviertel) nochmals beschleunigt (ebenfalls ein „gap flow“), was insbesondere für Orte wie Melk, St. Pölten und die Buchbergwarte im westlichen Wienerwald sowie am Jauerling (Wachau) und auf der Jubiläumswarte (Wien) für erste Windspitzen sorgt.

Bei Nordwestanströmung findet jedoch teilweise eine Ablenkung des Winde statt. Ein Teil gelangt als Nordwestwind vom Waldviertel über das Tullner Feld, die Wiener Pforte bis zum Marchfeld, der andere wird durch das Donautal zwischen Amstetten und Mölk als Westwind abgelenkt. Typisch für diese Konstellation ist die Ausbildung einer Bodenkonvergenzlinie (Konvergenz = Zusammenströmen des Windes), die sich vom Waldviertel zum Wienerwald und etwas darüber hinausgehend erstreckt. Entlang dieser Konvergenzlinie steigt die Luft auf und bildet bei ausreichend labiler Schichtung Schauer oder Gewitter. Im meteorologischen Jargon nennt man diese auch Waldviertelexpress.

Auch aus dieser Abbildung wird ersichtlich, dass selbst im Fall einer Nordwestanströmung die westlichen Wiener Bezirke tendenziell eher eine Westkomponente erhalten, während die östlichen Bezirken tendenziell auf Nordwest bleiben.

Nachtrag:  In der FALTER-Ausgabe 11/16 wurde der Sachverhalt richtiggestellt. Vielen Dank!

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