Russland: Zehntausende nach Wirbelsturm ohne Strom
Nach einem eisigen und schneereichen Wirbelsturm sind knapp 60.000 Menschen in der russischen Region Primorje am Pazifik ohne Strom. Mehr als 19.000 Menschen seien außerdem rund eine Woche nach dem Unwetter weiter ohne Heizung, teilte das russische Energieministerium heute mit – bei minus zwei Grad Außentemperatur etwa in der Großstadt Wladiwostok.
orf.at am 24. November 2020
Ein Wirbelsturm reicht von Tropensturm (Zyklon, Hurrikan) bis Tornado, aber ein schneereicher Wirbelsturm? Das hat mich stutzig gemacht. Also hab ich in die Archivkarten der Wettermodelle geschaut und das einzige kräftige Tief, das die Region gestreift hat, war vergangenen Donnerstag:
Es handelt sich aber keineswegs um einen Wirbelsturm, sondern um ein flaches Tiefdruckgebiet mit langgestrecktem Kern um 1000 hPa. Es bildete sich entlang einer markanten Luftmassengrenze zwischen kontinentaler Kaltluft über Russland und subtropischer Warmluft über dem Ozean und Japan, mit anderen Worten um ein stinknormales Tiefdruckgebiet an der Frontalzone.
Die Niederschlagsprognose bis Donnerstag, 12 UTC (etwa 21 Uhr Ortszeit in Primorje) zeigt eine langgestreckte Kaltfront und intensive Niederschläge im Okklusions- und Warmfrontbereich. Die Okklusion hat hier bereits den Nordosten von China (Provinz Heilongjiang) erfasst, die Warmfront liegt über Primorje.
Das Satellitenbild zeigt das Bodentief über dem Pazifik und ein breites Wolkenband im Küstenbereich zwischen Japan und Russland. Die Okklusion wechselt über Russland von warm auf kalt, von stratiform (Dauerniederschlag) zu konvektiv (wechslende Intensitäten, kräftige Schneeschauer). Teile der betroffenen Region in Russland erfuhren sowohl kräftige Schneeschauer als auch anhaltende Niederschläge und aufgrund des bodennahen Druckunterschieds verbunden mit kräftigen Nord- und Westwinden. Diese Kombination kann durchaus die Gestalt eines Blizzards, eines Schneesturms, angenommen haben. Das ist allerdings auf eine ganz andere Entstehung als ein tropischer Wirbelsturm zurückzuführen.
Wetterballonaufstieg im Süden der Region
Die vertikale Schichtung zeigt einen lehrbuchhaften Aufstieg für gefrierenden Niederschlag, mit knappen Minusgraden am Boden und einer breiten positiven Schicht (bis plus fünf Grad) ab etwa 1300m Höhe. Das führte zu enormen Schäden und einen Zusammenbruch der Stromversorgung.