Fluten und Hagelmassen: Eine klimatologische Einordnung

Freitag, 04. August 2023, 20 Uhr MESZ – ein klassisches Genuatief sorgt für Starkniederschläge an der Alpensüdseite. In der Höhenkaltluft über Mitteleuropa entstehen gleichzeitig kräftige Gewitter mit intensivem Hagelschlag über der Schwäbischen Alb (Quelle Satbild)

Das Niederschlagsereignis in Kärnten, der Steiermark und in Slowenien hat mehrere Rekorde gebrochen:

48-Std.-Mengen (Donnerstag, 12 Uhr bis Samstag, 12 Uhr):

  • Ferlach: 213mm (alter Rekord 154mm im September 1965)
  • Bad Eisenkappel: 203mm (alter Rekord 156mm im Oktober 1980)
  • Loibl 266mm über dem alten Sommerrekord von 178mm im Juli 2002

Am Loiblpass sind kumuliert über den Sommer 2023 schon 845mm gefallen, die durchschnittliche Summe 1991-2020 beträgt 367mm. In Slowenien ist der Spitzenreiter der Berg Vogel (1922m) südlich vom Triglav in den Julischen Alpen mit 223mm in nur 24 Stunden.

Stand 05. August 2023, 20 Uhr MESZ – 72-Std-Summe (Datenquelle)

Schon am Freitag sind 24-Stunden-Rekorde gefallen, wie 184,6mm am Loibl, die höchste Regenmenge in einem Sommermonat (alter Rekord: 123,6mm), manche Seen wie Ossiacher See und Wörthersee sind so hoch wie seit Messbeginn 1991 im Sommer nicht mehr. In Ferlach gab es mit 133mm in 24h (alter Rekord: 86mm, Juli 1958) ebenso einen neuen Rekord wie in Eisenkappel mit 135mm (alt: 96mm im August 2010) für einen Sommermonat.

Slowenien – 12 Std. Mengen von Donnerstag, 03.08, 20 Uhr auf Freitag, 04.08. 08 Uhr:

Lesce (515m): 128mm

Ljubljana-Brnik (364m): 199mm (bis Samstagfrüh weitere 57mm)

Der intensive Starkregen hat zu verheerenden Überflutungen entlang der Julischen Alpen und Steiner Alpen in Slowenien, sowie in Unterkärnten im Lavanttal sowie in der südlichen Steiermark besonders entlang der Weinstraße geführt. Es gibt bereits mehrere Todesopfer, Straßenverbindungen und Zugstrecken ins Nachbarland sind unterbrochen. Etliche Straßen sind unterspült und müssen saniert werden.

Alleine im Bezirk Südoststeiermark wurden bis 06.08.23 237 Hangrutschungen erfasst, inzwischen gilt der Katastrophenfall, in Kärnten über 80 größere Hangrutsche, in Summe sind es über 400 laut Kleiner Zeitung (08.08.23)

Gleichzeitig, noch am Freitagnachmittag gegen 16.20 Uhr, gab es in Reutlingen auf der Schwäbischen Alb ein schweres Hagelunwetter mit 30-40cm hohen Hagelmassen. Was ist auf die anthropogen verursachte Erwärmung der Erdatmosphäre zurückzuführen und was sind erwartbare Unwetter im klimatologischen Durchschnitt?

Die Adria ist zu warm

Eine Flutkatastrophe wie jetzt im Süden der Alpen hat sich schon länger abgezeichnet. Die Frage war nicht, ob diese eintrifft, sondern wann.

Meeresoberflächenwassertemperatur am 03. August 2023, Abweichungen zum Klimadurchschnitt – die Adria rund 2 Grad wärmer als normal.

Ein zu warmes Mittelmeer bedeutet, dass pro Grad zusätzliche Erwärmung die Luft 7% mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Mehr absolute Feuchte heißt höhere Niederschlagsmengen. Das ist der einfache Zusammenhang. Für Niederschlagsbildung braucht es aber mehr als nur feuchte Luft – es braucht auch Hebung, also Tiefdruckeinfluss:

Entwicklung der Großwetterlage in Europa Juni bis August 2023, vereinfachte Skizze

Am Beginn (links) steht der ausgeprägte Hitzegürtel im Mittelmeerraum mit andauerndem Hochdruckeinfluss. Das ist im Sommerhalbjahr durchaus normal, allerdings sind die Hochdruckgebiete in der Höhe jetzt stärker ausgeprägt als vorher und gehen mit stärkerer Hitze einher als je zuvor (siehe Blogtext vom 18.07.23).

Im Juli (mittig) verstärkte sich der Hitzegürtel über dem südlichen Mittelmeerraum, gleichzeitig weitete sich eine Zone mit kühlerem Tiefdruckeinfluss über Mitteleuropa nach Süden aus. Zwischen beiden Temperaturzonen verstärkte sich das Temperatur- und Druckgefälle und der Jetstream (schwarzer Pfeil) nahm zu. Das führte neben dem denkwürdigen Riesengewittercluster am 11./12. Juli 2023 auch zu einer beispiellosen Serie an Unwettern an über 14 Tagen in Folge im Südalpenraum, auch in den jetzt vom Hochwasser betroffenen Regionen (nasse Vorgeschichte!).

Nun Anfang August ist das Meer durch die wochenlange, monatelange Hochdruckhitze ohne Wolken oder konvektive Episoden übermäßig warm an der Oberfläche. In den vergangenen Jahrzehnten konnte sich über einen so langen Zeitraum nicht so viel Wärme aufbauen, weil es etwa im Mai, Juni oder Juli immer wieder zu Italientief- oder Adriatieflagen gekommen ist, die durch kräftige Winde das Wasser durchmischen und kälteres Tiefenwasser an die Oberfläche ommen lassen. Jetzt hat sich erstmals ein stärkerer Kaltluftvorstoß ins zentrale Mittelmeer entwickelt (rechts), der zu einer klassischen Genuatiefentwicklung geführt hat. Vorderseitig strömt hochlabile und feuchte Luft gegen die Alpen und wird dort ausgepresst wie ein Schwamm. Da sich das Tief nur langsam nach Nordosten verlagert (auf einer Vb-Zugbahn) und am Dienstag über Skandinavien liegen wird, halten die Regenfälle weiter an.

Die Situation in den Hochwasserregionen sind übrigens nicht so unähnlich wie zur Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021. Auch damals wurde sehr heiße Luft in die Zirkulation eines kräftigen Bodentiefs einbezogen und die umgebogene Okklusion staute ideal gegen die Kämme der Mittelgebirge in Belgien und Westdeutschland. Wobei die Alpensüdseite extreme Staulagen durchaus gewohnt ist, aber nicht im Hochsommer (siehe Niederschlagsrekorde), sondern eher im Herbst und Winter mit enormen Schneemengen. Jetzt lag die Schneefallgrenze aber weit über Kammniveau, sodass der Niederschlag in allen Höhen vollständig in flüssiger Form gefallen ist und je nach nasser Vorgeschichte zu 100% in den Abfluss ging.

Topographische Besonderheiten

Kärnten und Slowenien

Kärnten und Slowenien in der Open Topo Map

Entlang der Julischen, Karawanken und Steiner Alpen war der Südstau am stärksten, konvektiv verstärkt bis Unterkärnten reichend. In Slowenien bilden die Gebirgsketten einen abrupten Übergang vom Flachland bei Kranj (rund 450m) zu den höheren Erhebungen (1500-1800m) und gipfeln beim Grintovec in über 2500m Seehöhe. Das bedeutet nicht nur intensiven Stauniederschlag, sondern auch ein starkes Gefälle im Gelände in den Oberläufen der Gebirgsbäche. Das Wasser steigt dann sehr schnell.

Stark betroffen ist auch das untere Lavanttal bei St. Paul, wo es mit der südwestlichen Anströmung zu Stau entlang von Kor- und Saualpe kommt.

(36-Stunden-Radarloop)

Südliche Steiermark

Ich bin am Untermain in Bayern aufgewachsen, wo es immer wieder größere Hochwasserereignisse gegeben hat (1993, 1995, 2003, 2011) und habe damals schon vor dem Studium intensiv über die Einzugsgebiete und Ursachen recherchiert.

Südliche Steiermark in der Open Topo Map – rot markiert Orte mit Katastrophenfall bzw. über HQ30

Wenn man sich das Gelände so anschaut, dann ist es sehr stark zergliedert mit sehr vielen Nebenflüssen im mittelsteilen Gelände, dafür langgezogene Flusstäler mit geringem Gefälle.

Niederschlagsmengen in der Steiermark bis Samstag, 05. August 2023, 12 Uhr MESZ (Quelle: Hydrografie Steiermark, die keine vernünftige Kartendarstellung der Summen machen können)

Auch im Süden der Steiermark sind innerhalb von 48 Stunden gebietsweise mehr als 150mm gefallen. Alle Einzugsgebiete waren betroffen. Das Wasser kommt sehr schnell und fließt dann aufgrund des geringen Gefälles in den Hauptflusstälern nur langsam ab. Inzwischen sind die Wasserstände in den Oberläufen schon stark gefallen, aber im Unterlauf sinken die Pegel nur langsam, zumal es noch weiterhin, wenn auch nicht mehr so stark, regnet.

Weitere Fakten, die vom Menschen hinzukommen können: Starke Bodenversiegelung durch Infrastruktur und Gewerbebetriebe, sowie Bachbegradigungen, aber auch Wohngebäude in ursprünglichem Auen- oder Überschwemmungsgebiet, die nicht auf ein HQ30 oder HQ100 ausgelegt waren.

Zusammengefasst haben folgende Faktoren das Unwetterereignis begünstigt:

  • nasse Vorgeschichte durch die Unwetterserie im Juli
  • zu warmes Mittelmeer, mehr Wasserdampf als normal
  • kräftige Südanströmung (Südstau) mit idealer Gebirgsanströmung
  • Hochlabile Luftmassen an der Oberen Adria und konvektive Verstärkung
  • Rekordniederschläge
  • Schneefallgrenze über den Kammlagen

Ein solches Ereignis hat sich abgezeichnet. Meteorologen haben nurmehr darauf gewartet, dass ein Kaltluftvorstoß in die Zeit des viel zu warmen Mittelmeers fällt und intensive Tiefdrucktätigkeit als Italientief oder Adriatief verursacht. Bisher hatten wir das Glück, dass es nicht passiert ist.

Zum vom ORF wieder vielbemühten Stehsatz unter den Meldungen habe ich am 14. Juli 2023 schon geschrieben. Die Klimaerwärmung ist vom Menschen verursacht. Die Hitzewellen im Mittelmeerraum sind schon lange vorhergesagt worden. Das betrifft eben auch die Ozeane und Binnenmeere. Solche Tiefdruckgebiete müssen nicht zwingend mehr werden, aber wenn sie entstehen, sind solche Extremereignisse wie jetzt wahrscheinlicher geworden. Das zeigt die Attributionsforschung.

Ein Paper über die Veränderungen von Hochwasser im Zuge der Klimaerwärmung von Sergiy et al. (2023) bestätigt den Eindruck: Ein zunehmender Trend zu Sommerhochwasser durch Zunahme an (lokalem) Starkregen.

Rekordniederschläge innerhalb von fünf Tagen im Süden von Österreich und in Slowenien, Quelle: ZAMG/Twitter

Reutlingen

Das Hagelunwetter von Reutlingen wurde von einer Superzelle (Gewitter mit rotierendem Aufwindbereich) ausgelöst:

Radarreflektivität und Dopplerwindfeld bei Reutlingen, Quelle: Kachelmannwetter

Der Wetterballonaufstieg von Stuttgart, 04. August 2023, 14 Uhr MESZ, scheint recht repräsentativ für Reutlingen (21/13 vor dem Gewitter) zu sein:

12z-Aufstieg Stuttgart, Quelle: Kachelmann Aufstiege

Dort sehen wir hochreichend labil geschichtete Luft bis zur Tropopause in rund 9km Höhe. Die Labilitätsfläche ist eher dünn („skinny CAPE“), was für kleinen Hagel spricht. Die gemessene Obergrenzentemperatur des Gewitters betrug laut Infrarotsatellitenbild -44°C, also war mehr Labilität vorhanden als in Stuttgart angedeutet – ODER, dieser Effekt kam durch die Verstärkung mit dem rotierenden Gewitter zustande.

Zudem ist die Schicht unterhalb der Nullgradgrenze sehr feucht, sodass größere Hagelkörner beim Fallen rascher schmelzen können. Das erklärt, weshalb es zwar sehr viel, aber nicht so großen Hagel gegeben hat. Die vertikale Windscherung ist eher unspektakulär, bodennah dominierten verbreitet Nordwestwinde, darüber Südwest, aber nicht allzustark.

Auch hier kommt die Topographie ins Spiel: Mit dem Nordwest in den unteren Schichten herrschte eine ideale Anströmung der Schwäbischen Alb, an dessen Rand Reutlingen liegt. Orographische Hebung hat also die Gewitterbildung noch verstärkt.

Was in der Berichterstattung, aber auch leider von Klimaaktivisten ausgeblendet wird, ist der Umstand, dass Reutlingen in einem klimatologischen Hotspot der Hagelaktivität in Deutschland liegt. Nur, weil das auf Twitter oder Facebook noch nie jemand gesehen hat, heißt das nicht, dass es noch nie aufgetreten ist. Das gilt auch für Tornados. Mit solchen Aussagen macht man sich angreifbar bei den Leugnern der Klimakrise. Es gibt unzweifelhaftere Beispiele, angefangen von der Hitzewelle in den chilenischen Anden im Hochwinter über den austrocknenden Panamakanal bis zum Rekordhagel von 19cm in Italien vor 2 Wochen oder dem 9cm großen Hagelkörn im Sarntal auf 1000m Seehöhe (auch in Südtirol neuer Rekord).

Mehr zu Hagel auf der Schwäbischen Alb in diesem Poster (2021) bzw. generell in diesem Vortrag.

Zusammengefasst:

Für die Region Reutlingen bzw. Schwäbische Alb ein Hagelereignis, das klimatologisch durchaus häufiger auftritt, aufgrund der besonderen Strömungsverhältnisse dort, die Superzellengewitter begünstigen.

Zum Abschluss ein vergleichbarer Fall, der am 03. Juni 2012 in Matzendorf-Hölles bei Felixdorf im Bezirk von Wiener Neustadt-Land aufgetreten sind. Hier war aber nur ein kleines Siedlungsgebiet betroffen. Die Bilder habe ich im Zuge eines Stormchasings aufgenommen.

Hinterlasse einen Kommentar