25.6.16: Erst kam der Wind, dann die Gewitter

1930_lm

Ankunft der Gewitterfront in Ostbayern

Die Nacht vom 25. auf den 26. Juni 2016 hatte eine kuriose Gewitterentwicklung im Osten von Österreich zu bieten. Die Meteorologen einschließlich mir rechneten im wesentlichen mit zwei Szenarien: Entweder ziehen Gewitter in Verbindung mit stark auffrischendem Westwind von Westen über die Bundeshauptstadt oder es greift nur der Westwind in Gestalt einer Druckwelle – ohne Niederschlag – durch und beendet damit die kurze Hitzewelle.

Exkurs: Was ist eine Druckwelle?

Eine Druckwelle entsteht durch einen starken bodennahen Anstieg des Luftdrucks infolge gebietsweise kräftiger, meist konvektiver Niederschläge. Die Verdunstungskälte sorgt für eine starke Abkühlung relativ zur Umgebung. Bei größeren zusammenhängenden Gewittergebieten („Gewittercluster“ oder „Gewitterlinien“) steigt der Luftdruck im Bereich des stärksten Niederschlags rasch an, während er stromabwärts (in Richtung der Zugbahn) weiter fällt oder stagniert. Das Druckgefälle bringt den Ausgleichswind hervor, der sich speziell im Donauraum und am Alpenostrand mit stürmischen Böen aus West bis Nordwest bemerkbar machen kann. Die Vorderkante dieses Kaltluftbergs wird auch Outflow Boundary genannt.

Wann entstehen Druckwellen?

Der Klassiker ist eine föhnige Südwestströmung über den Ostalpen, dabei herrscht in Wien meist lebhafter Südostwind. Zunächst unterdrückt der Föhn allgemein Gewitter, in weiterer Folge verhindert die trockene Luft dann Gewitterbildung im weitläufigeren Umfeld Wiens. In vielen Fällen schießen die ersten Wolkentürme am Fuß der Alpen über Südbayern hoch. Die Mehrzahl dieser Gewitter beginnt wegen der stark gescherten Strömung (bodennah Nord- bis Ostwind, darüber starker Süd- bis Westwind) zu rotieren und werden recht langlebig mit großem Hagel und schweren Sturmböen. Mit fortschreitender Tageszeit werden die Gewitter abwinddominant und verschmelzen zu einer Gewitterlinie.

In den meisten Fällen zieht der zugehörige Höhentrog nordostwärts über Mitteleuropa und die Gewitter verlagern sich der südwestlichen Höhenströmung von Bayern über Oberösterreich weiter nach Tschechien. Starke Gewitter scheren oft rechts aus der Strömung aus und können schnurstracks ostwärts ziehen. Da sie dabei aus dem Trog herauslaufen, schwächen sie sich aber oft ab. Schwächelnde Gewitter passen sich wieder der steuernden Strömung an und ziehen meistens nördlich an Wien vorbei.

Merksätze:

  • Je hochreichender der Kaltluftberg, den die Druckwelle vor sich herschiebt, desto wahrscheinlicher bilden sich an der Outflow Boundary neuerliche Gewitter.
  • Die Distanz zwischen dem System und der vorlaufenden Druckwelle vergrößert sich mit zunehmenden Alter des Systems [und wird damit flacher, speziell, wenn sie aus dem Trog herausläuft].
  • Je später sich die Druckwelle bildet, desto wahrscheinlicher geht sie trocken durch.

Sonderfall Alpenostrand: Bora

Föhn ist ein warmer, trockener Wind, der – im Allgemeinen – von einem Gebirge absteigt. Es handelt sich um Bora, wenn die heranströmende Luftmasse so kalt ist, dass sie auch nach dem Abstieg in den Niederungen kälter als die Umgebungsluft ist. Bei starkem Westwind infolge einer Druckwelle gehen die Temperaturen in Wien tagsüber zurück (= Bora), nachts steigen sie mitunter an, wenn sich bodennah bereits eine Kaltlufthaut bilden konnte (= Föhn). In beiden Fällen wird die Luft trockener und Gewitterbildung, die vom Boden ausgeht, damit unterdrückt, z.B. am 22. Juni 2011 :

obtrocken

22. Juni 2011: Trockener Durchgang einer Böenwalze (Druckwelle) über Wien; eigenes Bild

Sonderfall: Elevated Storms

Gewitter, die überwiegend durch die Sonneneinstrahlung angetrieben werden, nennt man surface-based, weil der Antrieb vom Boden ausgeht. Wird hingegen großräumige Hebung durch einen Höhentrog prioritär, spielt das, was innerhalb der planetaren Grenzschicht vor sich geht, kaum eine Rolle, sie entstehen bzw. ziehen entkoppelt (elevated), manchmal auch entgegen der Strömung am Boden.

In den Skizzen unten habe ich den typischen Ablauf mit Übergang von surface-based storms zu elevated storms veranschaulicht:

druckwelle

Am Tag der Kaltfrontannäherung (links oben) herrscht eine starke Südwestströmung in der Höhe, es bilden sich im schwarz eingekastelten Gebiet besagte kräftige Gewitter, am Alpenrand oft rotierend und geradlinig ostwärts ziehend. In weiterer Folge schwächen sie sich nach Osten hin oft ab, weil sie aus dem Trog (weiße Linien) herauslaufen.

Am Tag 2 nach Kaltfrontdurchgang (rechts oben) hat sich nördlich des Alpenhauptkamms und meist auch schon nördlich von Semmering-Wechsel-Bucklige Welt bereits kühlere und stabile Luft mit lebhaftem Nordwestwind durchgesetzt. Die Trogachse nähert sich weiter an. Die Gewitter entstehen dann über Südösterreich, speziell im Steirischen Hügelland, und ziehen mit der vorderseitigen Südwestströmung Richtung Niederösterreich. Je stärker die Südwestströmung in mittleren Höhen, desto besser sind die Chancen auf entkoppelte (kräftige) Gewitter in Wien, wobei die Hauptgefahren dann im Starkregen liegen, weniger im Hagel/Sturm.

Das untere Bild zeigt eine andere Ausrichtung des Troges, aber eine ähnliche Wetterlage. Südlich der Kaltfront entstehen die Gewitter weiterhin vom Boden ausgehend, ziehen mit der südwestlichen Strömung dann über die bodennahe Kaltluft und leben entkoppelt weiter.

Beispiele: 27. Mai 2011, 27. August 2011 und … der 25. Juni 2016

Das Besondere am 25. Juni 2016 …

Gewöhnlich dauert der Ablauf aus Kaltfrontpassage und Gewittern aus Südwesten wenigstens 36 bis 48 Stunden. In diesem Fall vergingen gerade mal 2 Stunden zwischen Ankunft der Druckwelle aus Westen und Ankunft der Gewitter aus Südosten!

Die Ausgangslage:

Drei repräsentative Radiosondenaufstiege für die Luftmassen über Süddeutschland (München), Alpenostrand (Wien) und Balkan (Zagreb).

gewitterszenario-250616-klein

Der Münchner Aufstieg  fand bereits unmittelbar vor den Gewittern statt, zeigt vor allem mäßig starken Südwind in der Höhe, mäßig viel Labilität und einige trockene Schichten in der Höhe.

Der Wiener Aufstieg zeigt enorm viel Energie (1700 J/kg MLCAPE) bei mäßigen Südwinden in allen Höhen. Auch hier sehr trockene Luft über einer feuchten Bodenschicht.

Zagreb toppt beide in Sachen Energie deutlich: knapp 3000 J/kg sind weit überdurchschnittliche Werte für mitteleuropäische Verhältnisse! Dazu relativ die schwächsten Südwinde (in Budapest weiter östlich wieder stärker).

Vom großräumigen Antrieb her wurden Süddeutschland und Oberösterreich für langlebige Gewitter begünstigt [1], trockene Schichten sorgten für die notwendige Verdunstungskälte, um eine Druckwelle im Donauraum aufzubauen [2]. Jedoch herrschten auch südlich der Alpen günstige Bedingungen für Gewittersysteme. Enorm viel Energie und hoher Wassergehalt der Atmosphäre begünstigten hier ebenfalls – nach Norden gerichtete – Druckwellen. Der erste Cluster trieb am Nachmittag vor allem in Slowenien und im Süden der Steiermark  sein Unwesen [3], zwei bis drei weitere beeinflussten Bosnien und Kroatien, ausgehend vom Dinarischen Gebirge. Am Abend verschmolzen die Gewittersysteme über dem Norden Kroatiens zu einem riesigen System, das spätabends über Westungarn in der südlichen Höhenströmung Fahrt aufnahm [4]. Das passt auch zur Tageszeit, irgendwann lässt die Energie vom Boden her mangels Sonneneinstrahlung nach und die Abwinde lösen die Aufwinde ab. In der Regel wandeln sich Cluster dann in Linien um bzw. beschleunigen generell ihre Reisegeschwindigkeit.

Zwei mächtige Outflow Boundaries/Druckwellen rasen aufeinander zu …

Um 21.00 MESZ registrieren die Wetterstationen im Donauraum einen starken Druckanstieg von Westen her, um 23.00 MESZ erreicht die Druckwelle Wien und löst mit stürmisch auffrischendem Westwind (76 km/h in Wien-Innere Stadt) den zuvor wehenden Südostwind ab.

druckwelle

25. Juni 2016, 22:30 Ankunft der Druckwelle mit föhnigem Westwind über Wien (Föhnwolken rechts)

Um Mitternacht wird auch über Westungarn und dem Burgenland ein starker Druckanstieg registriert. Nun prallt der starke Südostwind des Gewittersystems über Westungarn auf den starken Nordwestwind des Gewittersystems von Oberösterreich/Tschechien und erzeugt innerhalb kurzer Zeit eine kräftige Gewitterlinie über dem Nordburgenland [5].

Diese zieht unter gleichbleibender Intensität weiter nach Wien, lädt über Schwechat innerhalb einer Stunde 41 Liter pro Quadratmeter ab und zieht dann über Wien ein Blitzfeuerwerk ab [6].

boenwalze

26. Juni 2016, 01:00 Ankunft der Gewitterlinie von Südosten, mit Böenwalze links

Dass es sich hier um eine Neuentwicklung handete und nicht um eine bloße Fortsetzung des Ungarn- oder Tschechiengewitters, zeigen die Blitzarchivkarten:

25-06-16-18-3

Registrierte Blitzeinschläge zwischen 25. Juni, 20 MESZ und 26. Juni, 05 MESZ

Der Blitzknödel über Oberösterreich ist nach Tschechien abgezogen, der über dem Norden Kroatiens hat sich über Westungarn ausgedünnt. Ab der Linie, wo beide Windregime um Mitternacht aufeinanderprallten, ist die Blitzfrequenz regelrecht explodiert, mit dem Höhepunkt über bzw. knapp südöstlich von Wien. Es handelte sich also definitiv um eine Neuentwicklung.

radarsequenz-klein

Radarbilder von Meteox für 20 MESZ (links), 23 MESZ (Mitte) und 01 MESZ (rechts)

Die Radarbilder zeigen drei Aktivitätszentren, zunächst über Südostbayern und Oberösterreich, unter Abschwächung nach Tschechien ziehend, ein weiteres über Slowenien und der südlichen Steiermark, das sich vor Ort auflöste, und das dritte, entscheidende über Kroatien und Westungarn. Auch dieses löste sich über Westungarn auf, sorgte aber vorlaufend für die Neubildung über dem Wiener Becken.

satbilder-sequenz

Auch in den infraroten Satellitenbildern sieht man gut das sich abschwächende Gewittersystem über Ostbayern und Tschechien, während jenes über Westungarn zunächst noch sehr aktiv ist. Nach Mitternacht haben sich alle Systeme aufgelöst, nur noch das im Wiener Becken, wo Nordwestwinde auf Südostwinde trafen, ist noch aktiv.

Schlussfolgerungen:

Entgegen aller Vermutungen, aber auch dem subjektiven Empfinden vieler Bewohner kamen die Gewitter nicht aus derselben Richtung wie der bodennah durchgreifende Westwind, sondern aus der entgegengesetzten Richtung. Das hat für mich drei Gründe:

  1. Die südliche Höhenströmung begünstigte das rasche Abdrehen der Gewitter über dem Nordwesten Österreichs Richtung Tschechien und generell das Heranziehen vom Balkan her.
  2. Die energiereichere Luftmasse am Balkan begünstigte langlebige Gewittersysteme, die länger bis in die Höhe des starken Südwinds hineinwachsen konnten.
  3. Das System im Süden war einfach stärker als das im Norden, die Druckwelle aus Westen konnte die energiereiche Luftmasse in der Höhe nicht ausräumen, sondern sorgte nur bodennah kurzzeitig für Stabilisierung.

Quellenverweise:

Ein Gedanke zu „25.6.16: Erst kam der Wind, dann die Gewitter

  1. Pingback: 06. Juni 2017: Verflixte Druckwelle | Meteo Error

Hinterlasse einen Kommentar