Spektakulärer Gewitter-Aufzug bei Wien am 25. Mai 2024

Aufzug der Böenwalze mit tiefhängendem Fractus an der Vorderkante über dem Wiener Becken südlich von Wien, 12:58 Uhr MESZ ( © Felix Welzenbach)

Seit jeher bringen Gewitter aus Süden oder Osten im östlichen Flachland starken Regen und eine hohe Wolken-Erde-Blitzrate. Grund dafür ist der erhöhte Flüssigwassergehalt, wenn die Luftmasse aus dem Mittelmeerraum bzw. vom Balkan kommt. Die Wetterlage vom Samstag, 25. Mai, war von einer lange Zeit ortsfesten Bodenwindkonvergenz gekennzeichnet, die sich vom Burgenland bis zum Weinviertel erstreckt hat. Dadurch zogen ab Mittag bis zum späten Nachmittag insgesamt vier Gewitter am Flughafen Schwechat und in der Umgebung durch. Das erste Gewitter gegen 13 Uhr war optisch am Spektakulärsten mit einer ausgeprägten Böenwalze. Die tatsächlichen Windspitzen waren eher moderat, mit 50-60 km/h. Der Kern zog hierbei im Südwesten und Westen von Wien durch, der Flughafen wurde nur gestreift. Weitere Gewitter zogen eher knapp östlich durch, bis sich die Konvergenzzone generell nach Osten verlagert hat. Für mich persönlich war die Optik des aufziehenden Gewitters die Ästhetischste seit der LP-Superzelle vom 24. Juni 2021.

Zeitliche Abfolge

Alle Fotos wurden vom Flugsicherungstower in Schwechat aufgenommen:

12.43 Uhr MESZ: Ausgeprägte Cumulonimbus mammatus an der Südostflanke der Gewitterzelle – ein Indiz für verstärkte Absinkbewegungen und somit tendenziell Abschwächung bei Annäherung an den Flughafen. Davor flache Quellungen.

12,45 Uhr: Die Böenwalze wird entlang des Leithagebirges sichtbar. An der Vorderkante rechts (im Nordwesten der Gewitterzelle) befanden sich von Beginn an die tiefsten Wolkenuntergrenzen.

12.58 Uhr: Die Böenwalze intensiviert sich, darüber frische mächtige Quellungen (Cumulus congestus). Die eigentliche Ambosswolke mit dem Hauptniederschlag befindet sich noch viel weiter hinten (südlicher).

12.58 Uhr: Die Vorderkante im Detail über dem Wiener Becken mit einer zurückhängenden Absenkung. Zu diesem Zeitpunkt wurden rund 30kt Windspitzen erreicht. Die der geradlinige Streifen oberhalb der ausfransenden Böenwalze deutet auf eine durchbrochene Inversion hin.

12.59 Uhr: Der östlichste Ausläufer der Böenwalze präsentiert sich dreistöckig: Unten die trockene Böenwalze mit einem breiten regenfreien Abwindbereich. Darüber die neuen Quellungen und ganz oben die sich nach Osten ausbreitende und dabei ausschichtende Ambosswolke. Wie durch den mammatus zu Beginn angezeigt, gab es an dieser Flanke des Gewitters keine Neubildung mehr.

13 Uhr: Mein bestes Foto: Böenwalze mit Erdblitz im Niederschlagsbereich. Die Blitzaktivität des Gewitters war beachtlich.

13.04 Uhr: Die westliche Vorderkante wurde nun interessanter. Vor dem Regenfuß mit Starkregen und wahrscheinlich kleinkörnigem Hagel wurde die Böenwalze immer turbulenter, mit mehreren Zentren mit sehr tiefen Wolkenfetzen, die manchmal zu rotieren schienen. Für einen Tornado waren die Bedingungen allerdings ungünstig, denn der starke Bodenwind (Outflow) schob sich zu schnell unter den wärmeren Aufwindbereich und stabilisiert mit kälterer Luft.

13.05 Uhr: Die Bewölkung nahm nun die typische turbulente Struktur hinter der Outflow Boundary an. Richtung Wienerwald bildeten sich noch neue Quellungen (ganz rechts hinten).

13.05 Uhr: Der Pilot startete dennoch und flog durch die Böenwalze nach Westen. Für die Passagiere möglicherweise ein paar Sekunden etwas turbulenter, ehe sie aus dem Gewitter heraußen waren.

13.10 Uhr: Die tiefen fracti verharrten relativ lange über oder knapp östlich von Wien. Auf der Donau sah man die Gischt von den kräftigen Windböen.

Die nachfolgenden Gewittern brachten zwar weiteren Starkregen, aber ihre Vorderkante wurde immer weniger ausgeprägt.

Wetterlagen-Analyse

Wetterballonaufstieg der Hohen Warte (Wien), 25. Mai, 02 Uhr MESZ:

Quelle: kachelmannwetter.com

Der Aufstieg kurz nach Mitternacht zeigt eine ausgeprägte Inversion in 900hPa (ca. 1km Höhe), sowie Absinkinversion in 600hPa (ca. 4,2km Höhe). Die Labilitätsfläche reicht dennoch bis zur Tropopause (300hPa, ca. 9km Höhe). Die Trockenheit zwischen 600 und 300hPa begünstigt Entrainment in die Gewitterwolke und damit Abschwächung (Vertrocknung). Der starke Auftrieb durch das Temperaturprofil zwischen 900 und 600hPa dürfte dies aber teilweise kompensiert haben. Hier ist beinahe eine „elevated mixed layer“ zu erkennen, mit trockenadiabatischer Temperaturabnahme und Feuchterückgang entlang der Sättigungsmischungslinie. Das Windprofil ist relativ einheitlich aus Süd und begünstigt eine „Squall line“ im flugmeteorologischen Sinn, das heißt von Süd nach Nord geschlossene Gewitterlinie, die nicht mehr durchfliegbar ist. Sonst bezeichnet man nur stark propagierende Gewitterlinien als Squall line, meist mit hohem Sturmpotential.

Wetterballonaufstieg am 25. Mai, 14 Uhr (nach dem Gewitter)

Quelle: kachelmannwetter.com

Der Mittagsaufstieg von Wien wurde leider durch das Gewitter kontaminiert. Es zeigt aber nach wie vor die „elevated mixed layer“ zwischen 900 und ca. 700 hPa mit der dreiecksförmigen Taupunkt/Temperaturkurve. Die Tropopause liegt deutlich höher, bei rund 250hPa (ca. 10,8km). Am Boden hat sich durch den Starkregen und evtl. Hagel eine Inversion von rund 4°C gebildet. Das Windprofil zeigt weiterhin südliche Richtungen, ohne dass ein bestimmter Sektor dominieren würde.

Rückwärtstrajektorien von GFS, am 25. Mai 2024 um 13 Uhr MESZ bei Wien endend:

Quelle: Hysplit Trajectory Model, NOAA

Damit habe ich jetzt seit vielen Jahren nicht mehr gearbeitet. Die Datenquelle gibt es schon seit rund 20 Jahren. Es arbeitet mit der Modellvertikalgeschwindigkeit. Startpunkt waren drei verschiedene Höhen (685m, 2185m und 3585m). Grund für diese Berechnung in die Vergangenheit sind die „elevated mixed layer“-Strukturen in beiden Radiosondenaufstiegen. Sie entstehen gewöhnlich nur bei ausgeprägter Südwestströmung, wenn die Luft über das Atlasgebirge, die Spanische Hochebene, die Pyrenäen oder alpennordseitig über die Alpen hinweg (bei Südföhn) gehoben wird und wieder absinkt. Tatsächlich stammt die Luft unterhalb von 600hPa laut diesem Modell von Neufundland, dem Atlantik und der Spanischen Hochebene ab. Sie sank von dort beständig ab, bis sie bei Wien gelandet ist. Weiter unten, unterhalb 900hPa, stammte sie aus der nördlichen Adria. Unten also recht feuchte Luft, oben trockene Luft, damit potentiell instabil geschichtet.

500hPa Geopotential + Temperatur, 25. Mai 2024, 14 Uhr MESZ (Quelle: wetter3.de/archiv)

Als Hebungsantrieb diente ein ausgedehnter Höhentrog mit einer schwachen Vorderseite von der Adria über den nördlichen Balkan bis zu nach Tschechien. Das T mit 565 bezeichnet einen sich später abschnürenden Höhentiefkern, der am Folgetag, Sonntag, nochmals für ein breites okklusionsfrontartiges Band mit eingelagerten Gewittern über dem Balkan bis in die Südosthälfte von Österreich sorgen sollte.

500hPa Geopotential, Temperatur und relative Topographie, Bodendruck, gleicher Zeitpunkt, Mitteleuropa-Ausschnitt

Auch im vergrößerten Ausschnitt sind Randtröge in der schwachen Südströmung allenfalls zu erahnen. Über Mitteleuropa herrscht ein Isobarensumpf mit allgemein schwachen Bodenwinden. Das Zentrum der Höhenkaltluft befand sich über dem westlichen Mitteleuropa mit rund -20°C.

Fazit: Spannend und lehrreich war es.

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