Kräftiger Dauerregen im Isar-Inn-Hügelland?

Berichte aus den Katastrophengebieten:

„Allein in Pfarrkirchen bei Triftern sind binnen sechs Stunden 32 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. „Das ist schon ein kräftiger Dauerregen“, …

Quelle: APA, diverse Zeitungen

Beim ORF etwas präziser:

In dem nahe dem überschwemmten Triftern gelegenen Pfarrkirchen in Niederbayern sind laut Deutschem Wetterdienst (DWD) seit gestern Abend etwa 45 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. Allein an diesem Tag zwischen 8.00 und 14.00 Uhr seien es 32 Liter gewesen, sagte Meteorologe Volker Wünsche. „Das ist schon ein kräftiger Dauerregen.“ Pfarrkirchen liegt etwa sechs Kilometer nördlich von Triftern.

In 6 Stunden 32 mm macht pro Stunde etwas mehr als 5 mm. Das löst keine Sturzfluten wie beobachtet auf. Die Messung ist zwar nicht falsch, aber es sind eben die 6 Kilometer Unterschied, die hier den Braten fett machen, wenn man sich die aufsummierten Regenmengen aus dem Wetterradar anschaut:

http://kachelmannwetter.com/de/regensummen/rottal-inn/niederschlagssumme-24std/20160601-1850z.html

In der nachfolgenden topographischen Karte habe ich die Informationen nochmals gebündelt:

Die strichlierte weiße Linie zeigt die Grenze im 24 Std.-Niederschlag zwischen weniger und mehr als 50 Liter pro Quadratmeter knapp südöstlich von Pfarrkirchen. Laut Wetterradar fielen im Einzugsgebiet der am stärksten betroffenen Orten 80 bis 170 Liter pro Quadratmeter. Tann lag an der Grenze, hier hat der östliche Einzugsbereich gut das Doppelte vom westlichen erhalten. Spitzenreiter war aber Simbach am Inn, wo das Radar extreme Mengen bis über 170 Liter pro Quadratmeter zeigt. In den feiner aufgelösten Zeitschritten fielen hier bereits in 3 Stunden gut 60 Liter. Eine im Ostteil des Starkregengebiets liegende Messstation vom Hochwassernachrichtendienst Bayern (HND Bayern), Rottal-Münster, hat 90 Liter im gleichen Zeitraum registriert, was recht genau zu den Radarsummen passt.

Schlussfolgerung 1:

Die in den Medien zitierte Wetterstation lag am Nordrand des Starkregengebiets und ist daher für keinen der betroffenen Orte repräsentativ!

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Weiters liegen alle Ort im Isar-Inn-Hügelland mit meist zwar nur mäßigem Gefälle, jedoch ist die Landschaft überwiegend landwirtschaftlich genutzt mit vielen Feldern und zudem stark zergliedert mit mehreren Seitentälern und entsprechend zahlreichen Nebenbächen. Die Verteilung der Regenmengen deutet darauf hin, dass das gesamte Einzugsgebiet vom Starkregen erfasst wurde und somit vollständig zu den Ortskernen hin entwässert wurde.

  • In Triftern betrug der Abfluss nur HQ 20, der Wasserstand stellte jedoch ein Rekord dar (350cm, normal sind 60 cm).
  • In Simbach am Inn sind keine Jährlichkeiten bekannt, der Wasserstand wurde hier bereits als ein Jahrtausendhochwasser eingestuft (Spitze bei 500 cm, normal sind 20 cm).
  • In Birnbach an der Rott (talabwärts von Pfarrkirchen) betrug der höchste Pegelstand 430 cm, normal sind 110 cm. Es handelte sich um den höchsten Stand seit 1954.

Schlussfolgerung 2:

Flächiger Starkregen über dem gesamten Einzugsgebiet hat ein rapides Ansteigen der Wasserstände bzw. Sturzfluten von den landwirtschaftlich genutzten Feldern her begünstigt.

Warum hat es gerade dort so viel geregnet?

http://kachelmannwetter.com/de/regensummen/deutschland/niederschlagssumme-24std/20160601-1850z.html

Die 24-Std.-Regenradarsummen über ganz Deutschland zeigen kleinräumige Schauer- und Gewitterstraßen auch im Norden und Nordwesten, das Maximum über Niederbayern und dem Westen von Oberösterreich sticht klar heraus, hier waren zudem andauernde Gewitter beteiligt.

http://kachelmannwetter.com/de/sat/mitteleuropa/satellit-color-5min/20160601-1000z.html

Das Satellitenbild von Europa zeigt mehrere ausgedehnte Fronten über West- und Mitteleuropa, sowie einen recht konvektiv durchsetzten Batzen über Südostbayern und den Nordwesten von Österreich.

500 hPa  Geopotential und Temperatur, gültig for 1. Juni 2016, 08 MESZ:

Österreich und der Südosten von Deutschland liegen unter einem Höhentief mit Höhenkaltluft um -20°C in 500 hPa. Bei ungefähr ähnlichen Luftmassen am Boden würde man also über Österreich und den Grenzregionen die labilste Luft erwarten:

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850 hPa pseudopotentielle Temperatur und Bodendruck, gültig für 1.Juni 16, 08 MESZ:

Die Luftmassenverteilung zeigt zwei ausgeprägte Okklusionsfronten über Frankreich und Deutschland bzw. Polen. Im Höhentiefkern ist die Luft etwas kühler (auch im 850 hPa Temperaturfeld), aber dennoch labil genug geschichtet und vor allem bodennah feucht genug, um Schauer und Gewitter auszulösen. Förderlich als Hebungsantrieb war die bodennahe Konvergenzzone aus Südwestwind über dem Flachgau und Innviertel und West- bis Nordwestwind über Niederbayern. Aufgrund der nur langsamen Westwärtsverlagerung  des Bodentiefs haben sich auch die Bodenwinde über Stunden hinweg kaum verändert und die Konvergenzzone (= Zusammenströmen der Luft und Aufsteigen, Wolkenbildung) blieb relativ ortsfest.

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Ein weiterer Faktor jedoch, der die extremen Regenmengen gerade dort und nirgends anders erklärt, stellt ein Phänomen der höheren Troposphäre dar: die Tropopausenfalte.

Im Wasserdampfbild zum gleichen Zeitpunkt deuten die blaugrünen Einfärbungen auf relativ trockene (und daher wärmere) Luft als die okkerfarbenen Gebiete hin, wo Wolkenbildung für kältere Wolkenobergrenzentemperaturen sorgt. Eine lange Zunge mit trockener Luft deckt sich recht gut mit dem Gradienten der Isentropen Potentiellen Vorticity (IPV, Abbildung Karte rechts). Dort fällt die Tropopause recht markant zum Kern des Höhentiefs ab, daher Tropopausenfalte. Derartige Gebiete sind mit starker Turbulenz und massivem Hebungsantrieb verbunden.

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Quelle: wetter3.de und nrlmry.navy.mil

Schlussfolgerung 3:

Im Überflutungsgebiet herrschte bodennah eine beständige Konvergenz von Südwest- und Nordwestwinden über Stunden hinweg. Zudem war die Luft bodennah sehr feucht, während in der Höhe von Nordosten trockenere Luft heranströmte (Produktion von potentieller Instabilität, förderlich für Gewitter), förderlich auch die Nähe zum Höhentiefkern mit der kältesten Luft. Massive Hebung und entsprechendes Aufsteigen verursachte eine Tropopausenfalte, die auch im Wasserdampfbild erkennbar ist. Die Spitze der trockenen herumgeführten Zunge deutet direkt auf den Nordrand der stärksten Regenfälle. Mitunter wirkt die Falte hier auch frontogenetisch, weshalb es zu großflächiger Bewölkung bis in den Südwesten Österreichs kommt. 

Die Großwetterlage ist insofern ungewöhnlich, als dass anders zu den berüchtigten Hochwässern von 2013 und 2005 keine großflächigen Fronten für Dauerregen und Hochwasser gesorgt haben, sondern zahlreiche Okklusionsfronten, die in der Höhentiefzirkulation westwärts zogen und sich über viele Stunden hinweg einkringelten. Entsprechend regnet es zwar stellenweise extrem, aber nicht großflächig intensiv, sodass überregionale Hochwässer ausbleiben (abgesehen von der französischen Seine).

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