18. August 2017: Zerstörerische Druckwelle

Am 18. August 2017 bildete sich von der Schweiz und dem Breisgau ausgehend gegen 18.00 Lokalzeit eine massive Gewitterlinie, die bis Oberösterreich durchgehend Böen über 100 km/h hervorbrachte, an vielen Orten wurden Orkanböen gemessen:

Flachlandstationen:

Fürstenzell bei Passau (135 km/h)
Bouveret (CH): 130 km/h
Linz-Hörsching (Flughafen): 130 km/h
Reichersberg: 126 km/h
St. Chrischona (BW/CH): 126 km/h
Waizenkirchen: 125 km/h
Kollerschlag: 123 km/h
Altenrhein (CH): 122 km/h
Salzburg-Flughafen: 119 km/h
Schongau (BY): 115 km/h

Schäden nahe Passau in einem Waldstück (geschätzt F1-T3, 150-180 km/h): Drohnenvideo

In St. Johann am Walde im nördlichen Hausruck riss der Orkan binnen kürzester Zeit ein Festzelt um, was 2 Tote und 140 Verletzte zur Folge hatte.  Zeitpunkt: ca. 22.30 MESZ.

Eine ZAMG-Warnung war aufgrund der zeitnahen Entwicklung rechtzeitig ausgegeben worden:

Ein bis zwei Stunden vor dem Unglück hätte es eine neuerliche Sturmwarnung für das Inn- und Mühlviertel gegeben. Wostal: „Böen um die 120 km/h wurden für die Zeit zwischen 22 und 23 Uhr prognostiziert.

Quelle: Kurier, abgerufen am 21.8.17

Wetterlage

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Abbildung 1: Druckverteilung in der Höhe (500 hPa) und am Boden, mit Luftmasse (850 hPa pseudopotentielle Temperatur), Quelle: wetter3.de

Ein markanter Trog mit kräftigem Südwestwind in der Höhe, der vorderseitig im Nordalpenbereich für föhniges Absinken sorgt. Damit blieben die unteren und mittleren Luftschichten relativ trocken. Gleichzeitig hielt sich bodennah eine sehr feuchte Luftmasse mit Taupunkten von 18-20°C. So eine Kombination erzeugt hohe Labilität.

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Abbildung 2: Wetterballonaufstiege von Payerne (Schweiz) und München jeweils um 14.00 MESZ

Auffallend sind weiters ein starker Südwestwind in den unteren Luftschichten über der Westschweiz, wo die Gewitterlinie ihren Ausgang nahm, und kräftige Höhenwinde in mittleren und höheren Luftschichten. Außerdem ist bei Payerne eine trockene Schicht zwischen 850 und 700 hPa erkennbar, eine klassische „elevated mixed layer“, ob föhnverursacht oder föhnbeeinflusst, sei dahingestellt. Trockene Einschübe gibt es auch im Münchner Aufstieg.

Wie schon bei der Gewitterböe in Innsbruck am 30. Juli 2017, als 164 km/h am Flughafen (in 30m Höhe) gemessen wurden, bewirkt föhnbedingt trockene Luft, dass Niederschlag verdunstet, die Verdunstung Wärme entzieht und Abwinde beschleunigt. In Verbindung mit der Kaltfront („frontale Gewitter“) geschah das über größere Gebiete hinweg. Das föhnige Absinken und Abtrocknen macht sich im bayrischen Alpenvorland weiterhin bemerkbar, selbst, wenn der Föhn bodennah nicht spürbar ist (er kommt selten weiter als 20km ins Alpenvorland hinein).

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Abbildung 3: Webcambilder von Sistrans Richtung Innsbruck um 22.30 und 23.20 MESZ, Quelle: stefanjud.net

Innsbruck blieb dieses Mal von Sturmböen verschont, die Gewitterlinie zog nördlich der Alpen deutlich und die nahezu trockene Böenlinie erwischte noch das Außerfern (Reutte: 98 km/h) und das Karwendel (Achensee: 100 km/h). Dann strömte die Kaltluft boraartig ins föhnbedingt wärmere Inntal, mit starkem Taleinwind (Nordostwind) am Abend, anfangs wurde an der Uni Innsbruck auch Nordwind registriert. Typisch für Bora im Inntal ist walzenartige Bewölkung in Kammniveau, hier entlang der Nordkette. Sie kennzeichnet das Einströmen kälterer Luft. Inneralpin blieb es mit der vorlaufenden Gewitterlinie hingegen trocken: Zu viel Südkomponente in der Höhe.

Zunehmende Druckunterschiede künden das hohe Sturmpotential an:

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Abbildung 4: Luftdruck auf Meereshöhe um 21.00 MESZ

Um 21.00 MESZ betragen sie bereits 7 hPa zwischen dem Allgäu und dem Flachgau. Nicht nur die räumliche Druckänderung ist hier von Bedeutung, sondern auch die zeitliche Änderung. Als Maß wird hier die dreistündige Änderung in Zehntel Hektopascal herangezogen. Bei großräumigen Sturmtiefs sind z.B. Werte über 10 hPa in 3 Stunden ein Indiz für Sturmböen, verursacht durch ein nachrückendes Bodenhoch, seltener durch eine markante Kaltfront mit Schauern oder Gewittern. Bei kleinräumigen Gewitterböen sind 5 hPa in 3 Stunden bereits ein Alarmsignal.  Starker Druckanstieg bedeutet, dass die Luft durch Niederschlagskühlung deutlich abkühlt. Der Druckanstieg ist im Gegensatz zu Sturmtiefs auf thermische Prozesse zurückzuführen und meist nicht nachhaltig, bis die Kaltfront mit dem eigentlichen Luftmassenwechsel durchgezogen ist.

Nachfolgend jeweils für 21, 22 und 23 MESZ die zeitlichen Druckänderungen vom Bodensee bis zum Innviertel.

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Abbildung 5: 3-stündige Luftdruckänderung um 21, 22 und 23 MESZ in 1/10 hPa.

Im Bereich der Orkanböen ist der Luftdruck stellenweise sogar mit 7-8 hPa in drei Stunden gestiegen, vielerorts vollzog sich der Anstieg sogar in einer Stunde!

Nowcasting mit Dopplerradar-Bildern

Die Dopplerradar-Windgeschwindigkeiten vom Standort Isen, 40km östlich von München, zeigen kontinuierlich Spitzenwinde über 100 km/h und von München ostwärts zunehmend Faltungszonen (weiß) mit über 115 km/h. Man beachte: Das Radar zeigt nur dann Windgeschwindigkeiten, wenn Niederschlag (Regentropfen) detektiert wird. Trockene Böenlinien können nicht oder nur schwer erfasst werden (Insektenschwärme, Vögel). Je weiter Böenlinien vorauslaufen, desto schwieriger sind sie zu erfassen, wenn keine Messstationen zur Verfügung stehen. Die verheerenden Orkanböen im Unglücksort bei St. Johann am Walde im nördlichen Hausruck traten etwa 5-10 min vor der ersten sichtbaren Reflektivität in diesem Gebiet auf.

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Abbildung 6: Radarloop des Dopplerradar-Standorts Isen von 21.00 MESZ bis 22.40 MESZ, Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/dopplersweeps/radar-isen/radar-05grad/20170820-1210z.html

Man erkennt jedoch selbst in der Dopplerradarreflektivität eine kurzzeitig vorlaufende Böenlinie zwischen 21.00 MESZ und 21.50 MESZ und später wieder um 22.20 MESZ.

Im gezoomten Bereich passen die gefalteten Bereiche mit über 115 km/h zu den gemeldeten Windspitzen:

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Abbildung 7-11: Dopplergeschwindigkeit vom Standort Isen, weiß gekennzeichnet die Faltungszonen und Geschwindigkeiten über 115km/h.

Um 22.15 gab es bereits die ersten Sturmböen in Salzburg, die Böenlinie lief also rund 10-15min den Reflektivitäten voraus.

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Um 22.30 wurde Salzburg überquert und das Innviertel erreicht. Im gezoomten Bereich sind schwache Signale im nördlichen Hausruck vorhanden, die sich mit dem Auftreten der ersten (trockenen) Orkanböen decken.

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Um 22.40 traf die Böenlinie dann mit voller Wucht den Hausruck.

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Um 22.45 deuten auch die Faltungszonen auf Orkanböen im Hausruck hin sowie am Inn im Bereich von Reichersberg, wo die 126 km/h gemessen wurden.

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Quelle aller Dopplerradarbilder: https://kachelmannwetter.com/de/radarsweeps

Um 23.00 MESZ überquert die Böenlinie Fürstenzell (135 km/h) und erfasst den Innkreis.

Schlussfolgerungen

Vorhersage 12-24h vorher:

  • markanter Hebungsantrieb durch die hereinschwenkende Kurzwellentrogachse
  • markante Labilität durch hohe Taupunkte und föhniges Absinken darüber
  • kräftiger Höhenwind stützt organisierte Konvektion und Linienbildung
  • thermisch gestützte große Druckunterschiede (spätnachmittags/abends)
  • einzelne Lokalmodelle mit Druckwellen-Hinweis

Vorhersage 1-5 Std. vor dem Unwettereignis:

  • Gewitterlinie entsteht ab 18.00 MESZ und  verlagert sich ohne erkennbare Abschwächung
  • große horizontale Druckunterschiede auf kurzer Distanz (7-10 hPa zwischen Bodensee und Salzburg)
  • markanter Druckanstieg in kurzer Zeit (7-8 hPa in 1-2 Stunden)
  • verbreitet, nicht nur örtlich, Böen über 100 km/h
  • „Live-Monitoring“ durch das Spiel Bayern – Leverkusen in München (20.30-22.15)
  • Zunehmendes Orkanböenpotential stromabwärts durch 1-6 stdl. aktualisierte Lokalmodelle angedeutet

Nowcasting:

  • Dopplerwindradar des Deutschen Wetterdiensts, Einzelsweeps vom Radarstandort Isen, 40km östlich von München
  • Böenlinie bzw. Faltungsssignale, die auf Windgeschwindigkeiten über 115 km/h hinweisen
  • VERA bzw. INCA-Windanalyse

Persönlicher Kommentar:

Mich hat das Ausmaß in Ausdehnung und Intensität überrascht. Der Übergang von Windstille auf Orkanböen in Salzburg-Stadt war beeindruckend und habe ich ihn dieser Form noch nie erlebt, insbesondere ohne nachfolgenden Gewitterniederschlag.

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