Abschwächung von Sturm FABIENNE über Österreich – Ursachensuche

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RGB-Satellitenbildanalyse von „FABIENNE“ um 19 Uhr Lokalzeit

Bis etwa 20 Uhr Lokalzeit lief am Sonntag, 23. September 2018, alles programmgemäß. Es bildete sich eine zeitweise über 800 km lange Gewitterlinie von Ostfrankreich über Süddeutschland bis Tschechien und die Südwestgrenze Polens aus. Es entstanden die bogenförmigen Ausbuchtungen an der Linie, lokal fegten Tornados hinweg. Die 159km/h vom Weinbiet klingen zwar spektakulär, ich war dort aber schon oben und die Station steht an einer sehr exponierten Kuppe, ideale Überströmung, und daher nicht ungewöhnlich. Anders die 137 km/h in Würzburg und die 148km/h in Konstanz (alter Rekord von Orkan Vivian am 27.2.1990 von 122 km/h pulverisiert).

In Österreich fiel der Sturm deutlich schwächer aus als erwartet: Reichenau a.d. Rax 121km/h und Reutte 112 km/h noch mit erwarteter Stärke. Sonst aber nirgends höher. In Ramsau/Dachstein 109 km/h, Wiener Neustadt 102 km/h und Irdning/Ennstal 100 km/h.

Irdning steht ebenfalls exponiert, Wiener Neustadt bekam Wienerwaldföhn und Ramsau hatte die Spitze kurz vor 3 Uhr, ebenfalls mit durchgreifendem Nordföhn.

Die Erklärung im ORF (abgerufen am 24.09.18, 11.25 – vmtl. APA-Meldung, weil in etlichen Zeitungen falsch) ist jedenfalls völlig falsch:

Laut Meteorologen haben starke Gewitter in Bayern die angekündigten, orkanartigen Böen erheblich abgeschwächt, teilte Franz Resperger vom Landesfeuerwehrkommando am Montag in den frühen Morgenstunden mit.

Über Bayern sind gerade mit den Gewittern Orkanböen aufgetreten. Und was haben Gewitter in Bayern mit den Windverhältnissen in Österreich zu tun?

In Österreich vielfach zu feucht und zu kühl vor der Kaltfront

Nach ausgiebiger Recherche bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass der ausgeprägte Warmfrontniederschlag Sonntagfrüh und Sonntagvormittag die Niederungen Österreichs zu stark anfeuchtete und abkühlte. In der Schweiz und in Süddeutschland zog der Regen früher ab und mit Nähe zum Tiefdruckkern waren die Luftdruckdifferenzen größer. Dadurch kam es dort vor der Kaltfront zu starkem Südwestwind mit teils stürmischen Böen. Das hat die herangeführte Warmluft in der Höhe bis zum Boden herabgemischt. Verbreitet wurden 20 bis 25 Grad gemessen.

In Österreich blieb es mit Abzug der Warmfront auf den Gipfeln mild, so meldete der Sonnblick noch um 20 Uhr +6°C, um 21 Uhr vor Frontdurchgang +5°C. Erst nach Mitternacht fiel die Temperatur auf 0 Grad und sackte dann weiter ab. In den Niederungen wurde die Maxima meist zwischen 16 und 18.00 Uhr Lokalzeit erreicht, mit 18 bis 22 Grad. Im Hinblick auf die Temperaturwerte in der Höhe (z.b. Rax, 1550m, +17°C) entspricht das aber bei weitem nicht den theoretisch möglichen Höchstwerten (+25 bis +30°C) bei dieser Luftmasse. Nach 19 Uhr gingen die Temperaturwerte dem normalen Tagesgang entsprechend fast überall zurück, ausgenommen in einem schmalen Band vom Bodensee über das Außerfern bis zum Chiemgau und Flachgau. Dabei wehte vom Warmluftband ausgenommen überall nur schwacher Wind in den Tälern. Auf den Bergen etablierte sich im Warmsektor zwar (seichter) Südföhn, auf den Bergen aber kaum starker Westwind. Hunerkogel/Dachstein (2700m) hatte untertags 40-60km/h Südostwind. Auch an anderen Bergstationen der Steiermark vom Lawinenwarndienst zeigen sich ähnliche oder sogar noch schwächere Windmessungen untertags. Mit anderen Worten, die Föhnkomponente, aus welcher Richtung auch immer, war zu schwach, um die Warmluft bis in die Niederungen zu transportieren. Da es bis zum Vormittag zudem stark bewölkt war, reichte die Tageserwärmung nicht aus, vom Boden ausgehend in die Höhe zu durchmischen (Sonnenstand Ende September!).

In Süddeutschland betrug die horizontale Temperaturdifferenz entlang der Kaltfront stets rund 10 Grad, zudem zur besten Tageszeit mit Höchstwerten am späten Nachmittag. Zwischen 21 und 22 Uhr Lokalzeit erfasste die Kaltfront den Alpennordrand und räumte das oben erwähnte Warmluftband vollständig aus. In Konstanz fiel die Temperatur innerhalb weniger Minuten um 10 Grad, der Druck stieg um 6 hPa. Auch Reutte lag in diesem Warmluftband (110 km/h). Inneralpin hat es aber vor Ankunft der Kaltfront bereits deutlich abgekühlt auf 14 bis 19 Grad. In Salzburg ging die Temperatur im Gewitter von 18 auf 15°C zurück. Gleichzeitig lagen die relativen Luftfeuchten vor der Front verbreitet zwischen 75 und 100%.

Das hat nun mehrere Auswirkungen:

Geringe horizontale Temperaturgegensätze schwächen die Querzirkulation an der Kaltfront ab (Warmluft wird in die Höhe gerissen, Kaltluft dahinter sinkt rasch ab), die Gewittertätigkeit hat über Österreich entsprechend rasch abgenommen und war im Osten überhaupt nicht mehr präsent

– hohe relative Luftfeuchtigkeit verhindert vertikale Durchmischung und damit den Impulstransport der starken Höhenwinde zum Boden, sie verhindert außerdem, dass der starke Niederschlag Verdunstungskälte erzeugt, was die Abwinde zusätzlich beschleunigt und den starken Höhenwind zum Boden drücken kann.

– Hohe absolute Feuchte (Plusgrade bis weit über 3000m hinaus) verhinderte außerdem, dass sich Hagel/Graupelkörner bildeten, welche durch Schmelzprozesse der Umgebungsluft Wärme entziehen und ebenfalls kalte Abwinde fördern.

Außerdem befand sich der stärkste Druckanstieg deutlich hinter der Kaltfront, aber mit abnehmenden Höhenwinden.

Nach 21 Uhr Lokalzeit ist die Kaltfront auch im Satellitenbild zerfleddert, sie wurde zunehmend strömungsparallel (kräftiger Westsüdwestwind in der Höhe), was die Querzirkulation weiter abschwächt. Vor der Kaltfront bildeten sich vermehrt Niederschlagsechos und feuchteten bei weiterer, leichter Abkühlung die Niederungen an, schwächten den Temperaturgradienten weiter ab. Die Linienform des konvektiven Niederschlags geht in eine Clusterform über, die ohne entsprechende Intensität nicht für starke Windböen spricht.

Die Modelle haben den Höhenwind zwar in den Abendläufen weiter abgeschwächt, aber er lag verbreitet um 50-60kt, was bei Durchzug einer Gewitterlinie gewöhnlich ausreicht, um diese vollständig zum Boden zu transportieren.

Zusammenfassung

  1. Warmfrontniederschlag hat die Temperaturhöchstwerte in den Niederungen reduziert und die Luftmasse feucht gehalten
  2. Tageszeitliche Abkühlung am Abend senkte die Temperatur vor Frontankunft zusätzlich
  3. Ausbleibende föhnige Effekte durch die Distanz zum Tiefdruckkern verhinderten Aufrechterhaltung des starken Temperaturunterschieds bei Ankunft der Kaltfront
  4. Spitzenböen vorwiegend dort, wo die Warmluft im Warmsektor des Tiefs zuvor die Niederungen erreicht hat und die relative Luftfeuchte niedriger gehalten hat (Verdunstungskälte), dadurch markante Temperaturrückgänge und Druckanstiege
  5. Ausnahme: Nordföhneffekte (Ramsau, Irdning, Reichenau/Rax) mit/nach Frontdurchgang
  6. Strömungsparallele Lage der Kaltfront zum Höhenwind hat die Intensität über den Ostalpen weiter abgeschwächt und die Gewittertätigkeit zum Erliegen gebracht.

Grafiken würden diese Analyse nun noch schön aufpeppen, ist mir an meinem freien Tag aber zu zeitaufwendig jetzt, ich bitte um Verständnis.

Nachtrag, 25.09., Interview in den „Salzburger Nachrichten“

Laut ZAMG-Salzburg …

Nur: Knapp, bevor sie Österreich erreicht hat, haben sich vor der Kaltfront einige Gewitterzellen gebildet, die schon einige Energie aus der Front herausgenommen haben. Das hat den Sturm abgeschwächt.

Fair point. Wenn man sich die Thetae/Temperaturkarten und Radar + Blitze übereinander legt, sieht man allerdings, dass sich die Gewitter am Alpennordrand direkt an der Kaltfront bildeten (markanter Thetae-Rückgang). Präfrontale Gewitter inneralpin gab es zwar, sorgten aber nicht für einen Luftmassenaustausch, weil innerhalb der gleichen homogenen Luftmasse. Gewitter können vielleicht Energie aus der Front rausnehmen, nicht aber den starken Höhenwind (aus der großräumigen Dynamik).

Ich würde allerdings die präfrontale Konvektion dahingehend interpretieren, dass sie die Grundschicht anfeuchteten und der Einfluss Verdunstungskälte markant verringert wurde. Kräftige Böen gab es ja überall dort, wo es im Warmsektor deutlich wärmer und trockener war.

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