Größter Waldbrand aller Zeiten? Mitnichten!

Waldbrand unterhalb des Mittagsteins (1300m) in Hirschwang an der Rax, betroffen sind überwiegend Schwarzföhren am Südhang, Quelle: NÖN, 26.10.21

Bei dem Anblick blutet mir das Herz. Am Mittagstein (1300m) war ich bisher drei Mal – am 29. September 2012, am 2. Juni 2014 und am 15. Juli 2021. Früher ein selten bestiegener Gipfel, da es keinen markierten Weg hinaufgeht und der Hang sehr steil ist. Durch die Pandemie hat sich das offenbar geändert – in den vergangenen Monaten wurde er deutlich häufiger frequentiert – bei meiner letzten Begehung begegnete ich unerfahrenen Berggehern ohne Karte und Wissen um die Steilheit des Geländes.

Webcam-Bilder der Rax-Seilbahn (Bergstation) vom Montag, 25. Oktober 2021, 11.11 und 11.30 Uhr, Quelle: Bergfex

Die Medien, einschließlich ORF, verbreiten leider weiterhin Desinformation über den aktuellen Waldbrand oberhalb von Hirschwang an der Rax.

„In Niederösterreich bleibt die Lage rund um den bisher größten Waldbrand der österreichischen Geschichte extrem angespannt.“

„Da wäre mein eindringlicher Appell, dass das Rauchen im Wald absolut eingeschränkt wird, dass im Wald auf keinen Fall Zigaretten weggeworfen werden oder auch Mitgebrachtes, etwa Glasflaschen, nicht irgendwo im Wald deponiert werden, denn daraus können natürlich solche katastrophalen Waldbrände – wie sie derzeit im Raxgebiet stattfinden – auftreten.“

Quelle: Steiermark ORF (abgerufen am 28.10.21, 08:24 Uhr)

Fakt 1: Der Mittagstein liegt im Schneeberg-Gebiet, nicht im Rax-Gebiet

Übersicht über die Region mit der markierten Brandstelle aus einem Kleinflugzeug Anfang Oktober 2021, (c) eigenes Bild

Der Talort heißt zwar Hirschwang an der Rax, aber der Mittagstein ist ein Gipfel des Gahns, ein Hochplateau, das mit dem Schneeberg verbunden ist. Die Raxalpe befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite und wird durch das enge Höllental vom Schneeberg getrennt.

Übersicht in der Open Street Map

Der Brandherd zieht sich überwiegend entlang der Südhänge des Mittagsteins. Bei unkontrollierter Ausbreitung wäre Kaiserbrunn weiter taleinwärts betroffen, eine von mehreren Quellen der I. Wiener Hochquellwasserleitung, die seit 1873 Trinkwasser nach Wien transportiert, sowie das Naturfreundehaus Knofeleben, die bereits am 8. April 2011 aus unbekannter Ursache abbrannte (vorher bekannt unter Friedrich-Haller-Haus). Beim Funkenflug über das Höllental könnte der Brand auch auf die Raxalpe übergreifen.

Brandschneide, Camillo-Kronich-Steig (A) – Blick nach Kaiserbrunn (August 2012)

Dort hat es 1859 schon einmal gebrannt, das Feuer legte eine felsige Schneide frei, die seitdem als Brandschneide bekannt ist – ein teilweise versicherter Steig zur Seilbahnstation.

Verlauf des Steigs von Hirschwang an der Rax bis zum Mittagstein

Der Steig zum Mittagstein war wie gesagt unmarkiert, aber gut auffindbar und ausgetreten. Er verläuft durchwegs im Steilgelände. Von den Luftbildern einige Stunden nach dem Brand sowie den ersten Webcam-Bildern nach zu urteilen, zündete das Feuer im Bereich der Querung mit dem Jagdsteig, der West-Ost verläuft, bzw. etwas oberhalb davon.

Blick von Hirschwang zum Mittagstein – der Steig verlief zur Gänze in dieser Flanke.

Ich kenne das Gelände – das ist steil, und da gibt es auch keinen geeigneten Platz für ein Lagerfeuer, wie derzeit spekuliert wird. Zudem, wer sollte mittags im herrlichsten Sonnenschein ein Lagerfeuer machen?

Blick von der Stojerhöhe (Kreuzberg) zum Höllentaleingang und dem Gebiet mit dem Brandherd (Bild vom 5. Oktober 2021)
Blick vom Eselstein (Semmering) zum Mittagstein (links) und Feichterberg (1381m) rechts, im Hintergrund Klosterwappen (2076m).

Fakt 2: Es handelt sich nicht um den größten Waldbrand in der Geschichte von Österreich.

In alten Ortschroniken, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, betrugen die Brandflächen über 1000 Hektar. Das zeigt z.B. die Waldbrand-Statistik der BOKU Wien. Dort gibt es auch einen aktuellen Blog-Eintrag zum Waldbrand bei Hirschwang. Demnach griff der Brand von den Föhren zum daruntergelegenen Buchenmischwald über. Laut BOKU wurden bis 26. Oktober rund 50 Hektar Wald geschädigt, laut neueren Schätzungen sind es um 80-90 Hektar Wald. Es handelt sich damit um den flächenmäßig größten Waldbrand der letzten 5 Jahre (zuletzt: Lurnfeld 2015 (80ha) und Absam 2014 (100ha). Aufgrund der geringen Brandintensität geht man davon aus, dass die betroffenen Waldbestände überleben.

Brand-Historie gesehen vom Satelliten, Quelle: FIRMS (Fire Information for Resource Management System)

Ich wäre auch beinahe darauf hereingefallen, aber nach Durchsicht diverser Bilder und Webcambilder kam es mir schon ein bisschen seltsam vor, da nur eine kleine Hangfläche betroffen war.

Siehe dazu auch einen aktuellen Vortrag der Boku Wien – Citizen Science Seminar, Waldbrandforschung im alpinen Raum, 27. Oktober 2021

Waldbrände in Österreich, Anzahl und Flächen bis 1993 zurück

Fakt 3: Glasscherben lösen keinen Waldbrand aus.

Laut dem eben zitierten Vortrag werden 85% der Waldbrände vom Menschen verursacht, davon gehen 13% auf Zigaretten zurück. Selbstentzündung durch Glasscherben oder Glasflaschen werden immer wieder als mögliche Brandursache genannt – dafür fehlen aber wissenschaftliche Beweise. Die Feuerwehr selbst widerlegt diese Mythen mehrfach.

Warum gerade dort?

Dazu muss man etwas weiter ausholen, bzw. aus der Karte herauszoomen:

Übersicht Alpenostrand, blau markiert der Brandherd, Quelle: maps-for-free.com

Der Südhang vom Mittagstein befindet sich am Ausgang des Höllentals. Das normale Talwindsystem bringt mäßige Ostwinde bzw. schwachen Nordwestwind aus dem Höllental. Bei West- bzw. Nordwestanströmung gibt es zum Teil stürmische Föhnwinde, ebenso bei Südanströmung über den Semmering bzw. das Preiner Gscheid bei Südwest. Die Region um Reichenau und Hirschwang an der Rax ist bekannt für seine gemäßigten Winter und häufigen Föhnlagen. Nicht umsonst ist Reichenau an der Rax auch ein bekannter Luftkurort, da der Wind für häufigen Luftaustausch im Tal sagt. Beständige Inversionslagen sind selten, da meist mit Südföhn verbunden, der im Tagesverlauf bis ins Tal durchgreift.

Relative Feuchte und Windgeschwindigkeit (Durchschnitt und Spitzen, sowie Richtung) auf der Rax-Seilbahnstation (1550m), 24. bis 28. Oktober 2021, Quelle: ZAMG

Leider hab ich die Skalen abgeschnitten, oben geht es in 10%-Schritten auf 100%, unten von 0 bis 100 km/h in 10er Schritten. Zum Zeitpunkt der Brandauslösung herrschte extrem niedrige relative Feuchte in mittleren Höhen mit 10-15%, auch in der Nacht, als der Brand sich ausbreitete, ging es nochmal unter 10%. Gleichzeitig wehte lebhafter Südwind mit 50-60km/h Spitzen.

Im Laufe des Nationalfeiertagmorgens kam eine schwache Kaltfront und der Wind drehte auf Nordwest. Daher konnten sich Brandnester vorübergehend nach Osten ausbreiten. Erst im Laufe des 27. Oktobers schwächte sich der Wind deutlich ab, der Anstieg der relativen Feuchte und der Temperaturrückgang von 10 auf 2 Grad C halfen mit, die Brandausbreitung zu verhindern.

Großwetterlage:

Hochdruckgebiet über Osteuropa, Annäherung einer schwachen Tiefdruckzone über Westeuropa. Der Alpenraum dazwischen in einer kräftigen Südströmung.

Wasserdampfbild vom Montag, 25. Oktober 2021, Quelle: Kachelmannwetter

Im Wasserdampfbild sieht man ausgedehnte hohe und mittelhohe Bewölkung von Italien über die Alpen bis Deutschland. Sie gehören zu einem Deformationsband (Höhenfront) ausgehend eines Tiefs über dem Mittelmeer, bringen aber keinen Niederschlag. Relevant für unseren Waldbrand ist ein schmales Band über Ostösterreich mit extrem trockener Luft in der Höhe, die mit der südlichen Strömung transportiert wird.

Wetterballonaufstieg auf der Hohen Warte am 26. Oktober, 01:33 Uhr – Links Taupunkts-, rechts Temperaturkurve – ganz rechts Windfiedern. Höhenangaben in Hektopascal bzw. Meter.

Der Wetterballonaufstieg von Wien um Mitternacht, also etwa 12 Stunden vor dem Waldbrand, zeigt die extrem trockene Luftschicht, die bereits ab einer Höhe von etwa 800m beginnt und bis über Gipfelniveau reicht. Der mutmaßliche Ort der Entzündung war zwischen 800 und 900m Seehöhe, also im Bereich der trockenen Luft. Da der Ballonaufstieg rund 70km nördlich stattfand und die Trockenschicht laut Satellitenbild nach Süden hin ausgeprägter war, kann es auch bis in niedrigere Höhen sehr trocken gewesen sein. Auch Reichenau/Rax (488m) hatte genau zum Zeitpunkt der Brandauslösung kurzzeitig unter 20% relative Luftfeuchte.

Satellitenbild sichtbarer Kanal vom Montag, 25. Oktober 2021, 11.15 MESZ – Zeitpunkt der Brandauslöse , Quelle: Kachelmannwetter

Zum Abschluss noch das Satellitenbild, das die Bewölkung zeigt: Die Nebelregionen in Kärnten und in der Mur-Mürz-Furche, sonst war es wolkenlos. Im Westen führte die kräftige Südanströmung gemeinsam mit den Wolkenband zur Ausbildung einer hochreichenden Gebirgswelle – aufsteigende Luft im Lee des Alpenhauptkamms kondensiert in der mittleren und höheren Atmosphäre. Am Alpenostrand war es mit Nähe zum Hoch und mit dem Trockenband vollkommen wolkenlos.

Ausblick:

Bis einschließlich Sonntag herrscht ruhiges Hochdruckwetter mit Hochschwerpunkt über Südosteuropa. Also durchwegs sonnig und trocken in den betroffenen Waldgebieten. Dazu weht durchgehend lebhafter Südostwind, in den Gipfellagen zeitweise stark bis stürmisch aus Süd. Erst Montagvormittag flaut der Wind deutlich ab. Bis zum Kaltfrontdurchgang im Laufe des Montags, Allerheiligen, bleibt es zudem in mittleren Lagen recht warm, in 1000m durchwegs zweistellig mit Höchstwerten um 20 Grad. Nachts nur kurzzeitig darunter.

GFS-Ensemble für Reichenau/Rax (Gitterpunkt), 2m Temperatur und Niederschlag (mm) ab 28. Oktober 2021, 02 Uhr bis 13. November 2021, 02 Uhr

Derzeit sind sich alle Wettermodelle einschließlich Ensemble-Läufe (hier: GFS) einig, dass im Laufe von Allerheiligen, spätestens in der Nacht zum Dienstag, ein Kaltfrontdurchgang für wahrscheinlich nennenswerte Niederschläge sorgen wird. Einzelne Ausreißer zeigen hier über 40mm Niederschlag. Nach kurzer Beruhigung am Dienstag zeichnet sich für Mittwoch das nächste flächendeckende Niederschlagsereignis ab. Damit verbunden dann auch ein deutlicher Temperaturrückgang und Schneefall bis in die Gipfellagen des Mittagsteins.

Bis Montagvormittag bleibt die Situation also noch angespannt, dass Glutnester durch den starken Südostwind wieder angefacht werden könnten, dazu kräftige Erwärmung, Sonneneinstrahlung, und am Freitag bzw. Samstag neuerlich sehr trockene Luft in diesen Höhen. Ab Montag sollte sich die Situation dann endgültig entspannen. Der Steig ist wohl endgültig verloren und dürfte so schnell nicht mehr von Trotteln begangen werden.

PS: Eine ausgezeichnete Einschätzung hier im Waldbrand-Blog Österreich von Mortimer M. Müller (28.10.21)

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