Kipp-Punkte und hehre Klimaschutzziele

Flutkatastrophe in Westdeutschland im Juli 2021 – mit wärmeren Luftmassen und zunehmender Wahrscheinlichkeit für konvektive Niederschläge steigt auch das Risiko solcher Extremereignisse

Dies ist eine vereinfachte Zusammenfassung in knappen Worten, was uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bevorsteht. Informative Twitteraccounts mit Literaturhinweisen empfehle ich am Ende des Beitrags.

Es sieht nicht gut aus. Während offiziell noch über das Ziel debattiert wird, die 1,5 Grad globale Erwärmung halten zu können, steuern wir auf 3-4 Grad Erwärmung zu, was letztendlich einen zunehmend unbewohnbaren Planeten hinterlässt. Schon vor über 40 Jahren wurde vor den Folgen der menschengemachten Erderwärmung gewarnt, nur die Rückkopplungseffekte hat man offenbar unterschätzt. Die Kipp-Punkte wurden bereits überschritten oder werden in absehbarer Zeit überschritten: Regenwald, Polkappenschmelze, Permafrost, Golfstrom.

Polkappenschmelze …. am 26. Dezember 2021 wurde im US-Bundesstaat Alaska in der Inselgemeinde Kodiak mit 19,4°C der höchste jemals gemessene Dezemberwert aufgestellt, am 9. Juli 2021 waren es in Anchorage +32,2°C, der alte Rekord aus dem Jahr 1969 mit 29,4 wurde regelrecht pulverisiert. Im Osten der Antarktis waren es am 18. März 2022 an der auf 3200m Seehöhe gelegenen Forschungsstation Concordia -11,5°C, und über 40°C wärmer als normal um diese Jahreszeit, der alte Rekord wurde um über 20 Grad übertroffen. Grund für den außergewöhnlichen Wärmerekord war ein Warmlufteinschub verbunden mit hoher relativer Luftfeuchte an der Vorderseite eines Tiefdruckgebiets, d.h. ein Ereignis von kurzer Dauer. Auffallend in den letzten 5-10 Jahren ist jedenfalls die steigende Zahl an „pulverisierenden Temperaturrekorden“, sowie die tagelangen Temperaturabweichungen von 20 Grad und mehr über weiten Bereichen Nordamerikas und Asien.

Auftauender Permafrost… die Waldbrände beginnen immer früher und dauern immer länger mit größeren Flächen an. Betroffen ist vor allem die arktische Tundra. Der auftauende Permafrost setzt große Mengen an Methan frei, was die Erwärmung der Atmosphäre beschleunigt. Gleichzeitig werden in hohen Breiten immer häufiger Rekordtemperaturen gemessen. Vergangenes Jahr wurde in Lytton, Kanada, nahe dem US-Bundesstaat Washington der landesweite Temperaturrekord an drei Tagen in Folge gebrochen: 46,6 am 27.6., 47,9 am 28.6. und 49,5°C am 29.6.2021. Danach ist der Ort abgebrannt.

Regenwald überschreitet kritische Abholzung …. und kann sich nicht mehr regenerieren. Er geht ebenso wie die großen Waldflächen in den hohen Breiten als CO2-Speicher zunehmend verloren. Ruß und Asche können durch die Luftströmungen in die Polregionen gelangen und sich auf Schnee und Eis absetzen. Mit der Dunkelfärbung wird die Schnee- und Eisschmelze in der Arktis beschleunigt. Einen kurzlebigeren Schmelzeffekt haben auch Saharastaub-Ausbrüche von Nordafrika Richtung Pyrenäen und Alpen.

Golfstrom so schwach wie nie …. durch die Arktisschmelze gelangt viel Süßwasser ins schwere Salzwasser und vedünnt dieses. Dadurch sinkt das Salzwasser nicht mehr ab und die Warmluftpumpe kommt ins Stottern. Es kann aber auch im Golf von Mexiko mehr Wasser verdunsten, wodurch es wieder salziger wird, das könnte die Abschwächung der Zirkulation verlangsamen. Derzeit sei die Abschwächung des Golfstroms der letzten 1000 Jahre beispiellos. Der Trend zu den anhaltenden blockierenden Wetterlagen, die den atlantischen Tiefdruckeinfluss abschneiden, könnte dadurch zunehmen. Einen Prototyp sehen wir die letzten Jahre schon, mit schneearmen Wintern und trockenen Nordströmungen. Im Sommer könnte die Zahl der konvektiven Starkregenereignisse zunehmen, die Zahl der Regentage insgesamt aber abnehmen. Vor allem eine schleichende Abnahme des klassischen „Landregens“ ist die letzten Jahre zu beobachten, d.h. flächendeckende Frontniederschläge (Okklusionen, Warmfronten, Aufgleitniederschlägen durch Italientiefs). Im Sommer fehlen die großen Gewittercluster mit Südwestströmungen, die vor allem Deutschlands Mitte und Süden ausreichend Niederschläge bringen, um den Grundwasserspiegel hochzuhalten.

Was bedeutet das alles?

Durch die Meereserwärmung dehnt sich das Meer aus und der Wasserspiegel steigt, ebenso durch die Polkappenschmelze. Die Meere versauern, das verändert den ph-Wert der Körperzellen der Meerestiere und verschiebt den Säure-Base-Haushalt dauerhaft, das kann das Überleben ganzer Arten gefährden und fördert das Korallensterben. In ständig wärmeren Gewässern wie im Mittelmeer, Schwarzenmeer, aber auch Nord- und Ostsee kann dafür der Massenbefall durch Quallen, Muscheln, Algen, etc. zunehmen.

Der Subtropengürtel wandert nach Norden, dadurch vertrocknet Südeuropa weiter. Hungersnöte, Ernteausfälle, Wassermangel nehmen zu. Der niedrige Grundwasserspiegel in Mitteleuropa erholt sich nicht mehr, das gefährdet die Landwirtschaft, aber auch Flusspegelstände sind gefährdet und damit die Schifffahrt. Höhere Temperaturen und vor allem milde Nächte lassen mehr Schädlinge im Winter überleben und tropische Insekten überwintern. Allgemein steigt der Selektionsdruck in der Tierwelt, die Gefahr weiterer Pandemien steigt (und dauert wahrscheinlich nicht wieder 100 Jahre….).

Das könnte man jetzt viel weiter ausführen, aber ich fasse hier nur grob zusammen.

Falsche Politikergeneration

Ob Pandemie, Krieg oder globale Erderwärmung – die behäbigen Lösungsansätze gehen alle auf den gleichen Schlag Politiker zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte noch Aufbruchstimmung, wirtschaftlicher Fortschritt, neue Arbeitsplätze, Wiederaufbau. Politiker hatten noch Visionen. Verschwörungserzählungen konnten sich nicht weiter als am Dorfstammtisch ausbreiten. Eine Massenverdummung wie durch Facebook oder Telegram, die demokratische Staaten wie UK, USA, Deutschland, Österreich ins Wanken bringt, gab es vor dem Internetzeitalter noch nicht in dem Ausmaß. Vielleicht ist das mein subjektiver Eindruck, aber noch nie hatte ich das Gefühl, war die Politikerelite so abgehoben, so weit entfernt von der Realität, so wenig Bodenhaftung und zugleich so sehr darauf bedacht, immer das Populäre zu tun und gleichzeitig in die eigene Tasche zu wirtschaften. Österreich wurde von der liberalen zu einer Wahldemokratie abgestuft. Die Korruption erreicht hier bedenkliche Ausmaße, noch nie haben wirtschaftliche Interessen so sehr die Bedürfnisse der Bevölkerung überrumpelt.

Wir hätten das Virus weltweit eindämmen können, was allen zugute gekommen wäre, mittel- und langfristig gesehen. Wir hätten, wenn schon keine Elimination, zumindest eine deutliche Reduktion der Krankheitslast erreichen können – nicht nur von SARS-CoV2, sondern allen Infektionskrankheiten, die über die Luft übertragen werden (Influenza, Rhinoviren, Adenoviren, Erkältungsviren, etc.), durch saubere Luft als globales Ziel wie zuvor sauberes Trinkwasser als Kampf gegen Cholera. Doch wirtschaftliche Interessen alias Great Barrington Declaration (jetzt: Brown Institute) wollten das Virus durchrauschen lassen. Das hat die Entwicklung von ansteckenderen immunflüchtigeren Varianten gefördert, welche die Wirksamkeit der Impfstoffe verringert haben. Mithilfe der mRNA-Impfstoffe und nichtpharmazeutischer Eingriffe (Masken, Testen, saubere Luft, Kontaktbeschränkungen) hätte man die Pandemie noch im ersten Halbjahr 2021 auf ein niedriges Niveau eindämmen können, denn ein hoher Antikörperspiegel verhinderte selbst bei DELTA noch effektiv die Ansteckung. Jetzt ist das Virus auf hohem Niveau endemisch geworden, d.h., es entwickeln sich weitere Virusvarianten, die die Impfstoffe noch mehr unter Druck setzen. Die Viruszirkulation bleibt viel zu hoch, „um mit dem Virus leben zu können“, speziell mit Wunschdenken wie vor 2020 statt mit Präventivmaßnahmen wie seit dem Sommer 2020 weltweit bekannt und gut erforscht. Die Folge sind dutzende Millionen von LongCOVID-Betroffenen und dauerhaft erhöhte Krankheitslast in der Bevölkerung, was langfristig das Gesundheitswesen und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unter Druck setzt. Cui bono also?

Beim Krieg sieht man die gleiche neoliberale Handschrift. Trotz der Kriege in Tschetschenien und Georgien, trotz der Krim-Besetzung, hat man sich in stärkere Abhängigkeit von russischem Öl und Gas begeben. Genauso zögerlich die Waffenlieferungen der Staaten an die Ukraine, die ein Recht auf Selbstverteidigung hat und nicht nur ihr Existenzrecht, sondern die Demokratie und Freiheit aller Europäer gegen Russland verteidigt. Staaten wie Österreich hängen aber tief im After von Putin, ein Gasembargo wäre der wirtschaftliche Bankrott. Alternativen wären kurz- und mittelfristig nie umsetzbar. Der große Umschwung auf erneuerbare Energien kommt aber genauso wenig, denn reich wird man offenbar nur mit Öl und Gas. Die wirtschaftlichen Folgen mit explodierenden Rohstoff- und Energiepreisen, die Getreidekrise spüren wir alle.

Beim Klimaschutz dauert es noch viel länger. Bolsonaro tötet den Regenwald, in den USA droht erneut Trump, das Zepter an sich zu reißen. Die ohnehin schon autoritär anmutende Demokratie in den USA mit ihrem anachronistischen Wahlmännersystem, den blockierendem Senat/Repräsentativenhaus und die viel zu große Macht für den Präsidenten droht in eine illiberale Demokratie abzurutschen. Der Klimaschutz wird da naturgemäß zu kurz kommen. Aber auch in Europa geht es zu behäbig voran.

Neben Politikern, die die schwerwiegenden Folgen ihres Nichthandelns offenbar nicht abschätzen können, zeigen alle drei Katastrophen derzeit, dass Menschen erst zu handeln beginnen, wenn die Gefahr sichtbar und unmittelbar ist:

Der Krieg findet an der Ostfront der Ukraine statt, rund 1000km entfernt von Deutschland und Österreich. Weit genug, um uns in Österreich in nervtötende Provinzpolitik zu verstricken, während in Deutschland ganz andere Diskussionen laufen.

Das Virus ist unsichtbar, das Leiden und Sterben in den Spitälern, Alten- und Pflegeheimen sowie zuhause findet von der Öffentlichkeit ausgeschlossen statt, das Langzeitleiden von Betroffenen ist ebenso still und nicht in Form von Protesten auf der Straße. Was man nicht sieht, kann man leichter vermitteln, als ob es keine Gefahr darstellen würde.

Kohlendioxid ist ebenfalls unsichtbar und die Folgen der Klimaerwärmung töten immer nur lokal, maximal regional, aber nicht über eine größere Fläche. Es betrifft genügend nicht, um sagen zu können, es beträfe nur andere. Die Erwärmung passiert schleichend, bis man begreift, wie schlimm es ist, ist es zu spät – wie bei den Lockdowns, die erst dann kommen, wenn in den Spitälern schon Triage stattfindet.

Daher, das muss man leider so sagen, habe ich keine Hoffnung, dass wir bei der Klimaerwärmung das Ruder noch herumreißen. Es bräuchte eine kritische Masse in der Bevölkerung von jungen, engagierten Menschen, die sich das politische Systemversagen nicht mehr gefallen lassen. Durch das demographische Ungleichgewicht haben die jungen aber zu wenig Einfluss, siehe Antikriegsproteste in Russland, wo die Älteren mehrheitlich für den Krieg sind, während beim arabischen Frühling die Verhältnisse umgekehrt waren. Während es bei der Pandemie noch möglich ist, die Infektionszahlen zu drücken und zumindest zusätzliche Todesfälle und Langzeitkranke zu verhindern, auch durch Reinfektionen, ist es bei der Klimaerwärmung dann zu spät. Was liegt, das pickt, wie es so schön heißt. Wir können nur noch versuchen, uns anzupassen, aber für das Ausmaß an Nahrungsmittelkrise und sozialen Unruhen leben wahrscheinlich einfach zu viele Menschen auf dem Planeten.

Twitter-Empfehlungen:

@DrHofHof – Klimaforscher

@wetterblog.at – Wetter und Klimarekorde in Österreich

@rahmstorf – Prof. Stefan Rahmstorf, Klimaforscher Potsdam

@mikarantane – Finnischer Klimaforscher

@khaustein – Klimaforscher, Uni Leipzig

Ein Gedanke zu „Kipp-Punkte und hehre Klimaschutzziele

  1. franzzeiler

    Lieber Felix,
    danke für den kritischen Beitrag mit wissenschaftlich verifizierten Erkenntnissen. Ich habe vor einigen Jahren im Rahmen von TSN einen unpolitischen Vortrag zu den „tipping points“ (Kipppunkte) des Klimas (ohne Pandemie und Ukrainekrieg!) gehalten, wobei ich mich schwerpunktmäßig auf die Abschwächung der nordatlantischen Zirkulation und die „arctic amplification“ (arktische Verstärkung) konzentriert habe. Bei diesen beiden Aspekten sehe ich die größten Auswirkungen für den Alpenraum. 
    Was mir in deinem Beitrag abgeht, ist die mit der globalen Erwärmung der  Atmosphäre einhergehende Temperaturanstieg der Ozeane und die darus resultierenden Folgen für den Klimawandel. Ähnlich wie beim Abschmelzen des arktischen Meereises mit der Konsequenz einer Albedoreduktion (Rückkopplung), entsteht mit diesem Effekt meines Erachtens eine Verstärkerwirkung auf den globalen  Temperaturanstieg.
    Die Ozeane sind eine wichtige CO2-Senke. Zwischen Ozean und Atmosphäre findet ein permanenter Austausch von CO2 statt. Kaltes, salzhaltiges Wasser fungiert als Senke; warmes aufsteigendes Wasser als Quelle. Der Temperaturanstieg von Wasser als Folge des Klimawandels ist im Vergleich zur Lufttemperatur zwar deutlich geringer, aber es ist nachvollziehbar dass mit dem Anstieg der Ozeantemperaturen in Zukunft auch mehr „gebunkertes“ CO2 aus den Ozeanen in die Atmosphäre gelangt und derart den Treibhauseffekt verstärkt.
    Ich bin auch deiner Meinung, dass wir auf eine 3°-4° Erwärmung zusteuern, wenn die Politik nicht rasch handelt. Zusätzlich wird es technische Lösungen brauchen, um  CO2 aus der Atmosphäre zu filtern und durch irgendwelche Verfahren zu neutralisieren.
    LG, Franz

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