Über Hitzewellen, Wetterapps und Bodenfeuchte

Aus der HEUTE vom 07. Juli 2022, links die Wetter-App-Prognose, rechts die reißerischen Schlagzeilen.

Um journalistische Qualität ist es in Österreich nicht gut bestellt. Das fängt bei falsch wiedergegebenen Polizeiberichten bei Bergunfällen an, geht über Fehler in den Sportnachrichten, über False Balance zur Pandemie bis hin zu reißerischen und oft falschen Darstellungen beim Wetter und Klima. Hier wollte die HEUTE natürlich unbedingt den 43er in den Titel bringen. Darunter ein völlig unpassendes Titelbild, denn bei 43°C „genießt“ niemand mehr ein Sonnenbad im Freien. Symptomatisch für die Verharmlosung der globalen Erhitzung.

„Der amerikanische Wetterdienst GFS sagt für Mitte Juli eine Hitzewelle für Mitteleuropa vorraus, mit Temperaturen bis zu 45 Grad in Spanien. Aber auch in Österreich soll der Juli so richtig Gas geben.“

GFS ist kein Wetterdienst, sondern ein globales Wettermodell. Spanien liegt nicht in Mitteleuropa. Gezeigt wird dazu eine Zahlenreihe mit Symbolen aus einer Wetter-App, die auf GFS beruht. Doch wie kommen solche Werte zustande? Das erfährt der Leser nicht. Bei mir schon.

Wettermodelle und Ensembles

Unter den führenden Wettermodellen für Europa befinden sich das amerikanische GFS (Global Forecast System), das europäische EZWMF* und das deutsche ICON. Globalmodelle umspannen – wie der Name schon sagt – die ganze Welt mit einem Gitterpunktsraster.

*Unter deutschsprachigen Meteorologen hat sich eingebürgert, EZWMF, oder kurz EZ-Modell zu sagen. Der Eigenname für das Modell des Europäischen Rechenzentrums ist IFS (Integreated Forecast System), aber nicht sehr gebräuchlich. Sowohl bei Kachelmannwetter als auch in der Wetterzentrale wird das Modell mit EZWMF bezeichnet, daher bleibe ich im Folgenden bei EZWMF.

Für die meisten Wetter-Apps wird das gratis verfügbare GFS verwendet, wenngleich es auch von EZWMF immer mehr Karten gibt. Wetter-App-Prognosen sind immer Punktprognosen, also für einen bestimmten Ort, wo man entweder den Ortsnamen, PLZ oder via Standort-Funktion den Ort eingibt. Hierbei ist wichtig zu wissen, dass die tatsächliche Topographie, in der wir uns bewegen – Täler, Becken, Berge, Schluchten – nicht zwingend eins zu eins der Topographie im Wettermodell entspricht. Je feiner die Auflösung, desto aufwändiger die Rechenarbeit des Modells, was entsprechende Laufzeit bzw. Rechenkapazität benötigt.

Topographie

Modellorographie von GFS, Quelle: http://www.karstenhaustein.com/Janek/maps/HSURF/hsurf.html

Im gezoomten Ausschnitt sieht man, dass Täler und Bergkämme nicht explizit aufgelöst werden:

Ebenso existiert der Wienerwald nicht, auch die Wachau ist nicht aufgelöst. Nicht besser verhält es sich mit Osttirol und Unterkärnten. Die Modellorografie unterscheidet sich also regional stark von der tatsächlichen Topographie. Das gilt es immer zu berücksichtigen, wenn man Wetter-App-Punkte hat, die außerhalb des Flachlands liegen.

Hauptlauf und Ensemble-Prognosen

Ein globales Wettermodell besteht immer aus einem Hauptlauf, der mit der höchsten Gitterpunktsauflösung gerechnet wird, einem Kontrolllauf, der mit verringerter Auflösung, aber den gleichen Anfangsbedingungen wie der Hauptlauf gerechnet wird, und Ensemble-Mitglieder mit geringerer Auflösung und veränderten Anfangsbedingungen – um zu simulieren, was geringfügige Änderungen in der Atmosphäre für die Prognose bedeuten. Wetter-Apps beziehen ihre Daten IMMER aus dem Hauptlauf, dem sogenannten deterministischen Lauf.

UTC = Weltzeit, für die Sommerzeit muss man 2 Std. dazuzählen. Z = Zulu (= UTC)

Das ist eine Hauptlauf-Prognose von GFS für einen fernen Zeitraum („Ultraglaskugelbereich“) von Rechenzeitpunkt+231 Std.

GFS-Hauptlauf, gerechnet am 10. Juli 2022, 00 UTC für Dienstag, 19. Juli 2022, 15 UTC – 850 hPa Geopotential (gpdm) und Temperatur (°C), ca. 1500m Seehöhe

Sie zeigt einen Hitzegürtel mit über 25°C in 1500m von Frankreich über den gesamten Alpenraum bis zum Balkan. Bei trockenen Verhältnissen kann man trockenadiabatisch mit 1°C pro 100m Erwärmung rechnen, landet also auf Meereshöhe bei 40°C. Dazu kommt dann noch die bodennahe Überhitzung bei staubtrockenen Böden und man kann noch 2-3°C draufpacken. Dann hat man die gerechneten 43°C.

GFS Hauptlauf – 2m-Temperaturmaxima für Dienstag, 19. Juli, 17 Uhr MESZ

Die angezeigten Höchstwerte bezeichnet man auch als DMO – Direct Model Output. Sie sind fehleranfällig, wenn die Bewölkung, Wind und Bodenfeuchte nicht korrekt simuliert werden. Bei stärkerer Bewölkung etwa bei Saharastaubzufuhr oder durch Restwolken nächtlicher Gewitter können die Höchstwerte ebenso niedriger ausfallen wie bei Windänderungen, etwa im Küstengebiet (Land-Seewind-Zirkulation), oder wenn die Bodenfeuchte höher ist.

Bodenfeuchte und Höchstwerte

Negative Rückkopplung aus starker Verdunstung und Bodenabtrocknung, die zu verringerter Niederschlagsbildung und Temperaturerhöhung führt, Quelle: Miralles et al. (2018)

Wenn sich eine Luftmasse erwärmt, dann gibt es zwei Wärmeströme – den fühlbaren (sensiblen) Wärmestrom, die mit dem Thermometer gemessen werden kann, und die verborgenen (latenten) Wärme, die bei Verdunstung von Wasser gebunden wird. Je höher die relative Feuchte, desto mehr Energie fließt in die Verdunstung und desto weniger steht für den fühlbaren Wärmestrom zur Verfügung. Daher wird es nach einem kräftigen Regenguss meist nicht mehr so warm wie vorher. Noch stärker ist der Effekt ausgeprägt, wenn es stark gehagelt hat. Das kann noch bis zum Folgetag lokal gedämpfte Erwärmung begünstigen.

Meteorologe Janek Zimmer vom Kachelmannwetter hat dazu kürzlich in einem Twitterthread Bodenfeuchtekarten gezeigt für verschiedene Wettermodelle, darunter auch GFS („US-Global“), EZWMF und ein hochaufgelöstes Lokalmodell, das auf EZWMF basiert.

Bodenfeuchte aktuell (obere Zeile) und für Samstag, 17. Juli 2022 (nur GFS), Quelle: Kachelmannwetter.com

Dort sieht man, dass beim amerikanischen Modell die Bodenfeuchte über weiten Teilen Frankreichs und Deutschlands gegen Null geht. Wenn also keine Verdunstung mehr stattfindet, fließt die gesamte Sonnenenergie in den fühlbaren Wärmestrom und erzeugt damit auch höhere Temperaturwerte. So stark vertrocknet wie in GFS und teilweise auch EZWMF (braune Flächen) ist die Vegetation in Wahrheit aber nicht. Es findet also immer noch messbare Verdunstung an Pflanzenoberflächen statt (die sogenannte Evapotranspiration). Je nach Ausmaß der zu niedrigen Bodenfeuchte, kann man 2-4°C von den errechneten DMO-Werten abziehen, speziell da, wo grüne Vegetation vorhanden ist. Dazu kommt aber noch, dass auch die Luftmasse selbst bei flächig 0% Bodenfeuchte in Spanien und Frankreich bis auf die 850 hPa-Höhe übermäßig aufgeheizt wird. Diese Luftmasse wird nach Mitteleuropa geführt und sorgt auch bei uns für zu hohe Temperaturwerte.

Das EZWMF rechnet ebenfalls eine Hitzewelle, aber mit niedrigeren Höchstwerten.

Modellvergleich 850 hPa Temperatur für Donnerstag, 14. Juli 2022, 18 UTC, Lauf vom Samstag, 09. Juli 2022 (12 UTC), Quelle: WXCHARTS

Im markierten Bereich ist EZWMF deutlich kälter als GFS – bei annähernd gleicher Wetterlage. Da es sich um einen systematischen Fehler handelt, ist es nicht schlimm, dass ich hier verschiedene Vorhersagezeitpunkte verwende – der Fehler bleibt gleich.

Zurück zu den Ensembles:

Der Hauptlauf in grün, der Kontrolllauf in blau, das Ensemble-Mittel in weiß und das klimatologische Mittel 1981-2010 in rot.

GFS-Ensembles für Wien, gerechnet heute im 00 UTC-Lauf, Niederschlag und 850 hPa Temperatur

Seit Tagen fällt auf, dass der Hauptlauf bei den Extremwerten der Hitzewelle deutlich über dem Mittel liegt. Speziell zwischen 17. und 22. Juli 2022, dem auch medial kolportierten Höhepunkt der Hitzewelle, liegen die 850 hPa-Werte bis zu 10°C über dem Mittel, mit Extremwerten um 28°C käme man am Boden auf 43-45°C. Mit im Mittel 20-22°C käme man auf 36-38°C, immer noch überdurchschnittlich warm, aber weit entfernt von Rekorden.

GFS-Ensembles für Dortmund

Nun könnte man sagen, die Luftmasse über dem Alpenraum ist einfach heißer als im nördlichen Mitteleuropa, doch selbst in Dortmund, Nordrhein-Westfalen, reißt der Hauptlauf bei den Extremwerten deutlich aus. Es geht hier also nicht nur darum, wo die wärmste Luftmasse liegt, also ob die Frontalzone nördlicher oder südlicher zieht, sondern die Luftmasse selbst ist überall heißer, egal ob Alpenraum oder Nordsee.

Abschließend die EZWMF-Ensembles, dieses Mal nur 850 hPa in der Darstellung der EZWMF-Seite:

Quelle: EZWMF Open Charts

Hier zeigt sich ein etwas anderes Bild, die einzelnen Member inklusive Hauptlauf (strichliert) und Kontroll-Lauf (durchgehend) liegen dichter zusammen. Vor allem ist der Hauptlauf eher um das Mittel herum zentriert, und das liegt bis Montag, 18. Juli, unter 20 in 850 hPa, also maximal 33-37°C. Erst ab Montag nimmt die Unsicherheit stark zu, der Hauptlauf zeigt eine ähnlich große Abweichung wie bei GFS, der Kontrolllauf schlägt ins andere Extrem.

Zusammenfassung:

Wir sehen, dass die Wetter-Apps meist frei verfügbare Daten wie von GFS beziehen. Damit ist immer der Hauptlauf bzw. Direct-Model-Output gemeint, was bei systematischen Fehlern, die der Kunde nicht sieht, große Abweichungen produzieren kann, die dann zu diesen Extremwerten führen.

Heiß wird es jedoch so oder so – vor allem in Südeuropa, wo die verheerende Dürre sich fortsetzt, aber auch in Teilen Mitteleuropas. Selbst wenn wir „nur“ knapp 40°C erreichen, bewegen wir uns im Bereich der Allzeitrekorde. Und die haben schwerwiegende Folgen:

Bei der Hitzewelle im Sommer 2003 starben laut Schätzungen in Europa über 70000 Menschen an der Folgen der Hitze. In Südeuropa wird jetzt schon das Trinkwasser knapp. Der niedrige Wasserstand des Po sorgt für das kilometerweite Vordringen von Salzwasser aus der Adria ins Landesinnere, das ins Grundwasser einsickert und die Ackerflächen zu Wüsten macht. Die Stau- und Speicherseen fallen auf bedenkliche Pegelstände, was die Stromerzeugung aus Wasserkraft deutlich reduziert und einen höheren Öl- bzw. Gasbedarf erfordert – ausgerechnet jetzt, wo Öl und Gas durch Putins Wirtschaftskrieg ohnehin schon knapp sind. In Österreich kommt noch der Schaden an der Ölraffinerie der OMV hinzu. Bei Hitzewellen ist auch der Strombedarf erhöht aufgrund der vermehrten Verwendung von Klimaanlagen. Die Gletscher erleben nach kurzer Erholungsphase mit dem derzeit kühleren Wetter und etwas Neuschnee neuerlich eine dramatische Schmelzperiode – ein Ende ist momentan nicht absehbar. Damit besteht die Gefahr, dass sich tödliche Gletscherbrüche wie auf der Marmolada mit insgesamt 11 Toten wiederholen.

Tagelange Hitze ist aber nicht nur für die Vegetation ein Problem, sondern auch für den menschlichen Organismus – insbesondere Tiefstwerte über 20°C oder sogar 25°C über mehrere Tage hinweg.

Abweichungen vom Durchschnitt der Wasserobrflächentemperaturen

Ostsee und zentrales Mittelmeer sind derzeit 4-5°C zu warm. Die sonst so kühlende Meeresbrise verliert ihre Wirkung. Überdurchschnittlich hohe Wassertemperaturen fördern auch das Wachstum von Quallen, Algen und Bakterien, wie Vibrio-Bakterien in Nord- und Ostsee.

Andere unerwünschte ‚Nebenwirkungen‘ sind, dass sich potentiell krankmachende Insekten wie asiatische Tigermücke und tropische Riesenzecke zunehmend bei uns wohlfühlen.

Ob wir also den 40er deutlich knacken oder nicht, es wird so oder so tagelang heiß, trocken und vor allem nachts unerträglich warm. Menschen in Miet- bzw. Dachwohnungen ohne Klimaanlage leiden besonders, aber auch in Flüchtlingsunterkünften wie etwa dem Container am Flughafengelände von Schwechat, wo rund herum nur Beton und Steine sind.

In Summe nichts erstrebenswertes, und Verharmlosung à la halbnackte Frauen am Strand im Sonnenbad sind gänzlich unangebracht.

Danksagung geht heute an ORF-Meteorologe Daniel Schrott für die Tweets zum Mittelmeer, an Mika Rantanen vom Finnisch-Meteorologischen Institut und an Janek Zimmer von Kachelmannwetter, beide mit erklärenden Beiträgen zur Bodenfeuchte.

PS: Ein weiterer guter Beitrag zum Thema Hitzerekorde, dieses Mal die ominösen 40°C in UK, hier von Simon Lee.

PPS: Sehr guter Artikel „Was von der „mörderischen Hitze“ bleibt“ von Andreas Frey im SPEKTRUM, 13.07.22

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