Was sind die Lehren aus den Unwettern vom 18. August 2022?

Satellitenbild vom sichtbaren Kanal, 12 Uhr MESZ – voll entwickelte Gewitterlinie über Norditalien, vorlaufend der zweite Multizellencluster über Osttirol und Pinzgau, der sich südföhnbedingt beim Übertritt auf die Alpennordseite auflöste, Quelle: Kachelmannwetter, EUMETSAT

Ein paar Tage sind vergangen – In Vorarlberg fielen Rekordmengen vom Himmel, während sich in Ostösterreich die Wettermodelle von einheitlich Starkregen über moderate Mengen zu normalen Landregen abschwächten. Höhentiefs sind immer schwierig zu prognostizieren. Während die extremen Regenmengen über 200mm im nördlichen Bregenzerwald mit dem Lake-Effekt erklärbar sind, ist die Kehrtwende für den angekündigten Starkniederschlag schwieriger zu erklären. Ich schrieb schon am Samstagmittag auf Twitter:

Auch heute zieht alles an Wien vorbei. Wetter-Apps haben so ihre Grenzen. Höchstes Niederschlagspotential jetzt in der kommenden Nacht bis Montag. Aber auch eine Hui oder Pfui-Lage. Liegen wir genau in der Okklusion, können enorme Mengen fallen, oder sie liegt 100km östlich.

Letzteres ist eingetroffen: Die Okklusion lag deutlich östlicher bzw. nördlicher und der Starkregen ist völlig ausgeblieben. Die in Wien gefallenen Mengen lagem am Unterrand des Vorhergesagten (20-150mm). Die Wetter-Apps stimmen natürlich nicht. Apps basieren auf Modellen – und Modelle sind nur so gut wie die Annahmen, auf denen sie beruhen (so wie Immunisierungsprognosen in der Pandemie). Ich hab das vor Jahren einmal nach Arno Holz abgewandelt:

Modell = Realität – x,

x ist je nach Wetterlage mal größer, mal kleiner. Die Gewitterlinie vom 18. August 2022 wurde in Italien sehr gut erfasst, da war das x klein, in Österreich waren alle Modelle schlecht, da wurde x sehr groß.

In den Tagen nach der Unwetterkatastrophe bietet sich die Gelegenheit, ein bisschen darüber aufzuklären, wie Wettervorhersage eigentlich funktioniert und was sie leisten kann.

Ich will das auch hier nochmal betonen: Meine Analysen sind nicht dazu gedacht, Schuldige zu suchen, sondern beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein. Hinterher ist Kritik üben immer leicht. Daher soll das nicht wie Belehrung klingen, sondern – was kann ich mitnehmen, worauf kann man beim nächsten Mal besser achten? Man lernt eben immer dazu im Leben. Ausgelernt gibts nicht.

Derecho

Experten haben die Gewitterlinie als Derecho klassifiziert – als großräumiges Starkwindereignis in eng definierten Kriterien. In der Washington Post ist ein ausführlicher Artikel dazu erschienen. Derechos treten in Europa zwar jährlich auf, aber in dem Gebiet zwischen Korsika und Alpennordseite sehr selten. Die Bedingungen waren im Mittelmeerraum sehr günstig mit extrem hohen CAPE-Werten (über 3500 J/kg) und hohen Scherungswerten kombiniert mit einem kräftigen Jetstream (76kt in der 0-6km Schicht). Das überdurchschnittlich warme Mittelmeer hat durch starke Verdunstung die energiereiche Luftmasse begünstigt. Aktuelle Klimaforschung zeigt, dass ein wärmeres Klima mit steigender Unwettergefahr in Südeuropa einhergeht – vor allem wegen höherer Bodenfeuchte. Das schließt Dürren übrigens nicht aus. Starkregen und lange Trockenphasen treten auf der gesamten Nordhalbkugel häufiger vor.

Nowcasting

Die wenigsten Schwergewitterlagen entwickelt sich exakt so wie die Modelle zeigen – dass die Modelle untereinander Abweichungen zeigen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Gerade bei Gewitterlagen muss der Vorhersager ständig abgleichen, wie gut der Ist-Zustand zum Modell passt. Wenn das Modell zunehmend abweicht – und das taten in diesem Fall alle Modelle, dann bleibt nurmehr Nowcasting. Die Gretchenfrage für den Vorhersager ist dann: Wann schaff ich den Absprung?

Das obige Satellitenbild zeigt die Situation dreieinhalb Stunden vor den Todesfällen in St. Andrä im Lavanttal:

Zu diesem Zeitpunkt hielten die Modelle immer noch krampfhaft daran fest, dass sich ein Multizellencluster – keine Linie! – von Süd- und Osttirol über Salzburg bis nach Oberösterreich erstrecken würde. Weit entfernt vom Ist-Zustand! Wann muss ich als Meteorologe sagen: Das ist alles Crap, die Linie rauscht durch! Die Verantwortung ist hoch: Zivilschutzalarm, Veranstaltungen absagen, Festivals evakuieren – da hängt einiges daran. Viele haben da noch gedacht, dass sich die Gewitterlinie abschwächen würde, bis sie Österreich erreicht. Denn die Modelle haben nichts gezeigt. Kein vergleichbares Szenario jedenfalls.

Wasserdampfbild vom 18.08.22, 18.45 MESZ

Wenn ich diesen Schritt zurück mache – weg von mesoskaligen Prozessen hin zur großräumigen Dynamik, dann wird klar, dass sich die Gewitterlinie eng vorderseitig mit dem Dryslot verlagerte. Wir wissen, dass diese markanten Wasserdampgradienten häufig Trigger von Konvektion sind.

Vielleicht muss man die Frage auch anders stellen: Was sprach – abgesehen von der mangelnden Abbildung in den Modellprognosen – dagegen, dass sich die Gewitterlinie abschwächte, wenn sie von Korsika bis Friaul mit schweren Orkanböen durchbraust und kurz vor dem Übertritt nach Slowenien bereits 6-7 hPa Druckanstieg verursacht?

Es sprach offenbar mehr dafür, angefangen von den großen Druckunterschieden zwischen Südwest und Nordost über die ungestörte Einstrahlung bis Mittag und entsprechend trockener Luft unterhalb der hochbasigen Quellbewölkung, sodass die Verdunstung besonders kräftig war. Labilitätsparameter wie Lifted Index, Mid-Lapse-Rates und Scherungsparameter wie 0-6km Scherung waren auch für Südösterreich noch hoch. Die beiden Cluster, die es am Vormittag nicht geschafft hatten, den Alpenhauptkamm zu überqueren, sind durch den kräftigen Südföhn vertrocknet. Doch in Unterkärnten gab es allenfalls föhnige Ansätze mit 30-40 km/h auf der Villacher Alpe kurz vor dem Eintreffen der Gewitterlinie.

Mir da ist noch etwas aufgefallen beim Durchsehen der Satellitenbilder. Im ersten Blogtext habe ich bereits die kurze Schwächephase des linienförmigen Gewitterclusters (QLCS, Quasi-linear convective system) in Zusammenhang mit sinkenden Wolkenobergrenzen erwähnt.

Das Satellitenbild um 14.30 MESZ zeigt die Situation unmittelbar vor der erneuten Verstärkung.

Satellitenbild von 18.08.22, 15.15 MESZ – Quelle: Kachelmannwetter

Genau in der erneuten Verstärkungsphase ab 15.15 MESZ über dem Lavanttal bis in die westliche Obersteiermark bildete sich nördlich des Alpenhauptkamms über den Hohen Tauern eine scharfe rückseitige Wolkenkante aus, die in Verlängerung bis zu den sich verstärkenden Gewittern reichte. Es handelt sich hier um eine Gebirgswelle (mountain wave), eine hochreichende Leewelle, die im aufsteigenden Ast hinter dem Hinderniss (hier der Alpenhauptkamm) erneut für Kondensation und Wolkenbildung sorgt.

Satellitenbild um 15.45 MESZ

Die Wolkenkante intensivierte sich. Eine tiefbasigere Wolkenkante wird auch quer über Südtirol sichtbar, sie reicht vom Dreiländereck über Bozen bis Triest.

Satellitenbilder um 16 Uhr MESZ und 16.45 Uhr MESZ

Die tiefbasige Wolkenkante bleibt ebenso erhalten wie jene im Cirrsniveau über Salzburg. Deutlich wird auch das markante Absinken der Strömung nach Durchzug des Clusters mit teils wolkenlosem Himmel.

Man kann daraus jetzt zwei mögliche Prozesse ableiten:

  1. Die Gebirgswelle über Salzburg war ein Nebenprodukt der kräftigen Südwestströmung in der Höhe, hatte aber keinen Einfluss auf die Intensivierung über Ostkärnten und die westliche Obersteiermark. Dafür spricht, dass solche scharfen Wolkenkanten an der Rückseite des Clusters fehlen.
  2. Der eigentliche Antrieb kam durch das rückseitige Herabströmen der sehr trockenen Höhenluft, die in weiterer Folge zur Wolkenauflösung führte – ein Prozess, der Dry Intrusion genannt wird und bekannt für Auslöse/Verstärkung von Hebungsprozessen ist (siehe oben in Zusammenhang mit dem gezeigten Wasserdampfbild).

Ich tendiere eher dazu, dass wir es hier durch markanten Hebungsantrieb aus der Dry Intrusion zu tun haben, und die Gebirgswelle wahrscheinlich weniger damit zu tun hatte (Korrelation ungleich Kausalität).

In jedem Fall spannend.

A forecaster’s defining moment

Das Ereignis am Donnerstag war für viele diensthabende Meteorologen ihr „defining moment„. Die Phrase hat Tornadopapst und Unwetterkoryphäe Chuck Doswell geprägt, den ich vor Jahren in Vorträgen und Workshops erleben durfte – ein Schlüsselmoment in der Karriere jedes Berufsmeteorologen. Die meisten Tage sind durch langweilende Banalitäten geprägt. Das ist das Ergebnis von Statistik. Seltene Ereignisse eben. Viele Menschen werden einen Orkan der Stärke von diesem Donnerstag nie erleben. Meteorologen arbeiten gewöhnlich im Schichtdienst, soe rotieren zudem auf den Positionen. Dadurch wird es noch unwahrscheinlicher, dass sie bei großen Wetterereignissen zufällig Dienst haben. Dann hängt es auch von der Dienststelle ab, wenn man nicht für das ganze Land zuständig ist. In Kärnten ziehen solche Druckwellen nur etwa alle 5-10 Jahre durch, im Donauraum jeden Sommer mehrere Male. Wer ein Unwetterereignis dennoch erlebt, hat meist seinen „defining moment“ – verhaut er die Prognose und es sterben Menschen, wird das zur großen Last für den Vorhersager. Selbst wenn alles gut gewarnt wurde, können die Konsequenzen – das Restrisiko bleibt eben, dass Menschen die Prognosen nicht mitbekamen oder sie ignorierten -, schwer zu ertragen sein. Eine schlechte Prognose wirkt sich hingegen oft verheerend aus.

Doswells Empfehlungen: Sich gut vorzubereiten, um im unwahrscheinlichsten Fall das Beste tun zu können

  • volle Konzentration bei jeder Vorhersage auf die Diagnostik
  • Vorhersage des Unwetterpotentials einer gegebenen Situation
  • Wissen darüber, welche Veränderungen andeuten könnten, dass sich die Wetterlage gerade hin zu einem Unwetterszenario entwickelt
  • vorbereitet sein, rasch zu handeln, sobald die Hinweise stärker vorhanden sind, dass ein Extremereignis bereits am Laufen ist.

Doswell sagte auch, wenn sich die Wetterlage anders als geplant entwickelt, aber man nicht weiß warum, verliert man unnötige Zeit, herauszufinden, was falsch lief, die man gerade bräuchte, um die weitere Entwicklung zu prognostizieren.

Ich möchte auch nochmal an ESTOFEX-Vorhersager Pieter Groenemeijer erinnern, der am Vorabend vor dem Ereignis folgendes geschrieben hat:

Modelle, die Konvektion explizit auflösen, sind großartig, aber sie sind kein Allheilmittel. Für den Donnerstag rechnete AROME die tatsächlich eingetretenen Windspitzen (allerdings am falschen Ort von Korsika), ein anderes Lokalmodelle zeigte höchstens moderate Starkwinde. Groenemeijer wusste nicht, was passieren wird. Er wusste nur, dass das Potential da war. Alle Modelle sagten viel CAPE und Windscherung vorher.

Beim ESSL arbeiten sie mit solchen Modellen und oft auch mit den Ensembles eines Modells (d.h., zahlreiche Prognosen starten mit geringfügig veränderten Anfangsbedingungen). Doch oft ist das, was geschieht, „außerhalb des Ensembles“, beispielsweise bilden sich Gewitter, wo keine Prognosen sie sahen, oder das Gegenteil. In solchen Fällen ist es gut, sich unterschiedliche Modelle anzuschauen, doch noch wichtiger ist es, die Situation mit dem physikalischen Verständnis von Schwergewittern einzuschätzen: Sie benötigen Instabilität, Feuchte und Hebung. Das Einzige, was ein Vorhersager an diesem Punkt tun kann, wenn die Modelle soweit auseinander laufen, ist, ob großräumig die Zutaten für Schwergewitter vorhanden sind. Das hat Tomas Pucik in seiner ESTOFEX-Prognose getan.

Pucik hat auch schon angekündigt, dass das ESSL eine Analyse zum Derecho vorbereitet. Ich bin gespannt.

Worauf basieren Wetter-Apps?

Anders als viele denken, machen Meteorologen ihre Prognosen nicht mit den Wetter-Apps, sondern wir beziehen unsere Daten aus Global– und Lokalmodellen, Radar– und Satellitenbilder sowie allgemein Stationsdaten, Wetterballonaufstiegen und Vorhersageaufstiegen.

Die meisten Wetter-Apps basieren (fast) ausschließlich auf Globalmodellen, mit entsprechender zeitlicher und regionaler Ungenauigkeit, die bei Gewitterlagen noch höher ist als bei großräumigen Frontdurchgängen. Wenn die Wettermodelle wie in meiner Fallstudie gezeigt so stark abweichen und mehrheitlich trockene Bedingungen zeigen, werden auch die Apps selbst wenige Stunden vor dem Ereignis noch sonniges Wetter anzeigen – weil sie auch höchstens alle 6-12 Stunden aktualisiert werden.

Die automatisierten Unwetterwarnungen der Wetterdienste basieren aber nicht auf den Wettermodellen oder Wetterapps, sondern auf kombinierte Radar- und Blitzaktivitätsprodukte für Gewitterzellen, deren Verlagerung mit der Höhenströmung extrapoliert wird – wie beispielsweise die Stormtracking-Radarvorhersage von Kachelmannwetter. Sie lieferte aber nur knapp 20 Minuten Vorwarnzeit für St. Andrä, denn 10 Minuten vorher gab es noch keinen Warnbalken für das Lavanttal. Zudem wurden in der Warnung maximal 80km/h Windspitzen vorhergesagt, eine dramatische Unterschätzung der Realität. Der Meteorologe, der die Wetterlage in Italien verfolgt hat, weiß aber, dass wesentlich höhere Windgeschwindigkeiten auftreten können. Damit die Info beim Kunden ankommt, braucht es daher das menschliche Eingreifen. Das setzt aber genügend Prozesszeit voraus – d.h., er muss genug Zeit für diese Aufgabe haben, es muss also genügend Personal anwesend sein.

Problem: Gewitterwarnungen basieren auf Radarechos und Blitzaktivität. Im Fall von St. Andrä zogen die Gewitterzellen aber nördlich und südlich vorbei. Kein Warnbalken wie in der Kachelmannwetter-Radarvorhersage heißt keine Warnung. Wenn der Sturm aber das Hauptproblem, müsste die Sturmwarnung separat erfolgen. Bei markanten Druckwellen an der Alpennordseite ist es häufig der Fall, dass der starke Wind gut prognostiziert werden kann, nicht aber, ob es dazu auch gewittert.

Hätte man das Unwetter kommen sehen?

Es ist nicht einfach, aussagekräftiges Bildmaterial von dem Zeitraum vor dem Eintreffen der Gewitterlinie zu bekommen. Aber eines ist sicher – es war kein Umschlagen aus dem Nichts, sondern hat sich schon länger abgezeichnet.

Laut der Wasserrettung war eine Evakuierung, wie sie standardmäßig bei aufziehenden Gewittern erfolgt, nicht mehr möglich. „Ich versehe seit 16 Jahren Dienst an diesem Badesee. Die Gewitterzelle hat sich in Sekunden aufgebaut und ist über den See hereingebrochen“

Land Kärnten, 19.08.22
Schulterkogel Webcam Richtung Süden ins Lavanttal, 18.08.22, 15.20 MESZ

In Sekunden ist sicher übertrieben, wie die Webcam zeigt – die Eintrübung mit dunklen Wolken war schon vorher sichtbar gewesen. Er meinte vermutlich vor allem den Sturm, denn die Gewitterwolken mit dem Niederschlag kamen erst später, dauerten aber kurz an.

Google Streetview am Parkplatz des Badesees, Blick Richtung Südwesten

Eine Google-Streetview von unmittelbar neben dem Badesee zeigt, dass der Blick nach Westen bzw. Südwesten völlig frei ist – jeglicher Aufzug von Gewitterwolken sollte gut sichtbar gewesen sein. Ein Problem war sicher, dass die Gewitterwolken nicht bedrohlich gewirkt haben – sie waren sehr hochbasig (hohe Wolkenuntergrenze) und hüllten die Berge nicht ein.

Folgende Aufnahmen stammen von der Panorama-Webcam Griffen-Burgruine mit Blickrichtung Süden, etwa 10km südwestlich von St. Andrä.

Um 14.00 Uhr, knapp 90 Minuten vor Eintreffen der Gewitterlinie, ist der Himmel mit Cirrostratus überzogen, über die Berge ziehen ein paar hochbasige Quellwolken. In Bildmitte nach oben hin sind eher tiefe mittelhohe Wolken sichtbar, die die Sonne verdecken (Altocumulus stratiformis opacus).

Um 14.30 Uhr wird die hochbasige Quellbewölkung insgesamt mehr, oben am Bildrand sieht man rechts eine runde Wolkenform – ein Altocumulus lenticularis. Er deutet kräftige, föhnige Südwestwinde an. Im Vergleich zum ersten Bild hat es in der rechten unteren Bildhälfte (Südwesten) schon deutlich eingetrübt.

Um 15 Uhr hat sich die Himmelsbild merklich geändert. Von Südwesten kommt erkennbar das Schlechtwetter, ganz links sieht man noch eine größere Quellwolke. Spätestens jetzt sollte man reflexartig einen Blick auf sein Handy werfen, was das Wetterradar so ausspuckt. Aber auch das hätte einem in diesem Fall nicht vorgewarnt, wie hoch die Windgeschwindigkeiten am Ende ausfallen würden.

Um 15.10 Uhr sind bereits Fallstreifen vom Niederschlag sichtbar. Das Wolkenbild wirkt immer noch strukturiert.

Um 15.20 Uhr – die Fallstreifen werden deutlicher, es bildet sich so etwas wie ein Böenkragen (arcus) aus. Über dem Feld rechts unten tobt bereits der Sturm.

Der ganze Verlauf zeigt: Der Wetterumschwung vollzog sich innerhalb von einer Stunde. Als das Gewitter aber richtig bedrohlich zu wirken begann, war der Sturm schon da.

Eine andere interessante Webcam-Ansicht stammt vom Pyramidenkogel – hier nach Südosten um 14 Uhr:

Es zeigt flache Quellwolken über den Karnischen Alpen, einen ausgeprägten Föhnfisch (Altocumulus lenticularis) in Bildmitte und darüber flockige hochliegende Wolken: hoher Altocumulus. Diese Wolkenart ist häufig Vorbote von Gewittern – sie kann nur entstehen durch Gebirgsüberströmung (lenticularis) bzw. bei Durchzug eines Tiefs. Sie zeigt sowohl die Präsenz eines Tiefs in der Höhe an als auch genügend Feuchte in mittleren Höhen. Hier zeigen tiefe und mittelhohe Wolken genügend Feuchte in der Schicht an, wo die Gewitterbildung stattfindet. Der Föhnfisch deutet gleichzeitig an, dass dazu nennenswerte Höhenströmung vorhanden ist, also die Gewitter nicht über den Bergen entstehen und sich dort ortsfest ausregnen würden.

Fazit:

Für den Laien wäre also schon anhand der dunklen Wolken etwa eine halbe Stunde vor Eintreffen des Sturms sichtbar gewesen, dass sich da was zusammenbraut, aber aus der Bewölkung hätte man schwerlich ableiten können, dass es über die gewohnten Windböen hinausgehen würde. Diese Information hatten nur Meteorologen mit Zugang zu Winddaten weiter stromaufwärts über Italien, bzw. wer halt über Facebook oder Twitter bereits mitbekommen hatte, was sich auf Korsika und über Italien abspielte. Voraussetzen kann und darf man beides nicht.

Quo vadis?

Wie auch in der Pandemie ist mehr Ernsthaftigkeit und eine bessere Prioritätenreihung angebracht, um akute gefahren für Leib und Leben anzusprechen: Unterbrechung des Tagesprogramms, Sondersendungen, Live-Schaltungen. Keine Warnung in 20 Sekunden Wetterbericht quetschen, weil Weißblaue Geschichten unbedingt pünktlich anfangen müssen. In der Pandemie heißt es ständig „Das trägt die Bevölkerung nicht mehr mit.“, wenn man innovative Ideen hat, übers Wetter aufzuklären oder die Wetterprognose zu verbessern, heißt es „Das versteht der Kunde nicht“. Erst kommt die Information, dann die Eigenverantwortung. Wenn die Information fehlt, wird die Person das tun, was am bequemsten erscheint – also meistens nichts. „Hamma immer schon so gemacht.“ bzw. fatalistisch „Leben heißt Risiken eingehen.“ Ich frag mich, warum gibt es seit Jahrzehnten medizinische Fortschritte, warum gibt es seit Jahrzehnten Fortschritten in der Wetterprognose? Wenns eh wurscht ist, warum stecken wir so viel Aufwand hinein, Risiken zu verringern, länger und besser zu leben?

Es ist sehr leicht jetzt zu sagen, die Bäume hatten vielleicht Vorerkrankungen und die Behörde war schuld, sie nicht vorher umgesenst zu haben. Damit delegieren wir die Verantwortung ins Schicksal. Da man vom Normalbürger nicht erwarten kann, dass er ständig auf die App, Radar, Satbild schaut, muss man in der Verantwortungskette weiter oben schauen… der Betreiber vom Badesee, die Weiterleitung von Warnungen zwischen Wetterdienst und Behörden/Gemeinden. Was kann man beschleunigen? Wo hakt es? Hoffentlich nicht am Föderalismus.

Warnungen via Cell Broadcast sind ein Anfang. Aber auch das reicht strenggenommen nicht, denn von Badeseegästen kann man nicht erwarten, dass sie ständig aufs Handy schauen. Und Wanderer haben unterwegs gar keinen Empfang. Wie in der Pandemie gehts um fehlendes Risikobewusstsein. Ein Restrisiko bleibt immer, und wer berufliche Fahrten nicht vermeiden kann oder zum Arzt muss, der ist dann halt grad auf einer Landstraße im Wald, wenn die Unwetterfront durchzieht. Aber hören wir deswegen auf zu warnen, weil es eh immer jemand trifft? NEIN – das machen wir nur in der Pandemie, da ist das wöchentliche Sterben, das zahlenmäßig weit über jede Unwetterlage dieses Jahr hinausgeht, Teil der neuen Normalität geworden. Wir Meteorologen versuchen aber dennoch, weiterhin gute Prognosen und Warnungen zu machen, auch wenn sie viele Menschen ignorieren und lieber auf ihre Apps schauen.

Für uns Meteorologen gilt ein wichtiges Motto: „Decision aid, not made“ – wir liefern Infos, die Entscheidung treffen andere. Der unaufgeklärte Bürger will die Entscheidung aber auch noch abgenommen bekommen. Das ist das Problem. Selbst denken unerwünscht. Das fällt uns in der Pandemie auf den Kopf, ebenso wie mit Rufen nach Ende der Sanktionen. Aber auch weitreichenden Entscheidungen wie, bloß keine hässlichen Windräder, lieber Blackout in Kauf nehmen.

Seit es Smartphones gibt, sind die Wetter-Apps zur wichtigsten Entscheidungshilfe des Nutzers geworden – leider, denn die Wettermodelle sind besser geworden, aber die Interpretation des Berufsmeteorologen wurde immer unwichtiger, „meine App zeigt aber …!“

Dieses Unwettereignis war ein „low probability, high impact“-Ereignis. Sehr unwahrscheinlich, aber wenn es eintrifft, verheerende Folgen. Wenn wir bei Schwergewitterlagen, wo die Zugbahn der Gewitter im Modell so unsicher ist, keine Wahrscheinlichkeiten angeben, ..sondern nur „ja“/“nein“, dann werden wir der Komplexität der Wetterlage nicht gerecht.

Für Österreich sah das Szenario in der Früh mit den vorliegenden Modellrechnungen so aus:

90% der Modellprognosen (Unterschiedliche Läufe UND unterschiedliche Modelle) zeigten eine Zugbahn von Südtirol über Salzburg bis zum Waldviertel. Nur wenige Modelle wie ICOND2 zeigten in einzelnen Läufen eine Gewitterlinie mit Orkanböen, sonst sah es eher nach mehreren Gewitterclustern aus mit Starkregen als Hauptgefahr. Der Rest zeigte die Gewitter sogar noch westlicher oder deuteten Spuren an Niederschlag weiter östlich und südöstlich an, aber ohne Struktur einer Linie oder eines Clusters, eher isolierte Gewitter. Hätte man das grafisch so dargestellt, wäre das Lavanttal immer noch untergewarnt gewesen, aber für die Wanderer am Dürrenstein wäre klar gewesen, dass sie entweder früh aufbrechen müssen, die Tour verkürzen oder überhaupt verschieben.

Solche Grafiken machen nicht immer Sinn – bei der 0815-Gewitterlage über den Bergen versprenkelt, sieht sie möglicherweise unübersichtlich aus. Aber wenn eine Front durchzieht und vorlaufend Gewitter erwartet werden, dann ist es rein von der Übersichtlichkeit möglicherweise ein Vorteil, die wahrscheinlichste Zugbahn anzugeben, aber genauso darauf hinzuweisen, was in den Gebieten mit der geringeren Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. In der Anwendung heißt das – wenn nur Schauer kommen, reicht die Regenjacke, aber wenn auch nur das geringste Gewitterrisiko besteht, ist die exponierte 10-Stunden-Hochtour ohne Hütteneinkehr möglicherweise immer noch zu riskant. Es kann aber auch heißen, wenn ich innerhalb der 10%-Linie liege, bin ich eher safe, aber ich sollte trotzdem ab und zu mal auf den Himmel achten. Und wenn es so auf breiter Front dichte Wolken hat wie auf den Webcambildern von Griffen, dann erinnert man sich wieder, was über den 10%-Bereich gesagt wurde: Zwar sehr unwahrscheinlich, aber wenn was kommt, dann dicke.

Die Klimaforschung sagt – mit einem aufgeheizten Mittelmeer werden solche Unwetter wahrscheinlicher, und mit der günstigen Strömung wird das dann auch für den Alpenraum ein Thema. Man kanns vergleichen wie mit der Vorbereitung auf ein großes Hochwasser, auf einen Blackout oder auf ein Erdbeben. Es passiert ziemlich selten, aber wenns eintritt, ist es gut zu wissen, was zu tun ist.

Meine persönliche Überzeugung als Meteorologe ist, dass wir diese Darstellungen mit Wahrscheinlichkeiten, wie wir sie bereits bei Temperaturprognosen im ORF-Wetter kennen, zum Standard machen müssen, dass man erklären muss, was es heißt, wie man es interpretiert und wie man sich darauf basierend verhält. Wir müssen weg vom binären 0/1-Denken (Pandemie Lockdown ja/nein).

Dieses Risikobewusstsein zu schaffen, setzt allerdings eine andere Problemlösungsdenkweise in Österreich voraus. Nicht – auf wen kann ich die Schuld abladen, und wenn ich niemanden finde, dann ist es höhere Gewalt, sondern – was kann man tun, um Risiken zu minimieren? Selbst wenn wir sofort alle CO2-Emissionen stoppen, werden wir noch Jahrzehnte/Jahrhunderte die Folgen unseres bisherigen Tuns spüren, es entbindet nicht von der Aufgabe, sich besser auf Unwetter vorzubereiten. Das muss gleichzeitig geschehen.

Ein Gedanke zu „Was sind die Lehren aus den Unwettern vom 18. August 2022?

  1. franzzeiler

    Servus Felix,

    danke für die analytische Nachbetrachtung der “Unwetterkatastrophe”.
    Als Laie habe auch ich mich mit dem Ereignis beschäftigt…..sowohl als “Gewitterspotter”, als ich am Nachmittag am Radar die unglaublich rasch aufziehende Gewitterlinie erkannte, als auch im Nachhinein bei meinen Erklärungsversuchen.
    Eine mögliche Erklärung für die Orkanböen wäre für mich auch die orografische Verstärkung in Kombination mit Verdunstungskühlung. Die advehierte Mittelmeerluft war sehr feucht und traf in K und Stmk. auf hier lagernde sehr trockene Luft. An der Vorderkannte der feuchten Mittelmeerluft beim Auftreffen auf die trockene Luftmasse kommt es zu Verdunstungsprozessen und damit verbundener Abkühlung. Die abgekühlte Luft ist schwerer als die trockene und unterstützt durch eine Gebirgskette könnten verstärkte Abwinde in das stromabwärts folgende Tal entstehen. Wie gesagt, dies ist eine Erklärung, mit der ich mir u.a. das Ereignis plausibel gemacht habe. Was meinst du dazu?

    Was die prognostizierten NS-Mengen der Okklusion von So bis Di und die daraus resultierenden Warnungen betrifft, vermute ich, dass die Meteodienstleister – dass Apps überfordert sind, hast du ja hinlänglich beschrieben – nach dem Ereignis vom 18. August übervorsichtig agiert haben und noch gewarnt haben, als die meisten Wettermodelle die Mengen deutlich nach unten korrigiert hatten. Nach der Devise, wie es mir einmal ein Meteorologe sagte: Besser 10 Mal umsonst gewarnt, als einmal zuwenig. Diese Sichtweise kann ich allerdings nicht unterstützen, den die Tendenz zum “Überwarnen” führt zwangsweise zu einer Abstumpfung Warnungen gegenüber in der Bevölkerung und ist damit kontraproduktiv.

    LG, Franz

    Antwort

Hinterlasse einen Kommentar